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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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aufgewärmt hast? Und
dann rein in den Schlafanzug und ab in den alten Schlafsack, was hältst du
davon?«
    Frank machte einen
interessanten Vorschlag, was man mit dem alten Schlafsack machen könnte, folgte
dann aber erstaunlicherweise den Anordnungen seines Vaters.
    »Ihr laßt doch das Feuer nicht
etwa die ganze Nacht brennen, hoffe ich«, sagte Sarah zu ihrem Cousin.
    »Ich sehe dafür keinen Grund.
Die Zweighütte ist recht gemütlich, und ich habe es geschafft, unsere
Schlafsäcke wieder vollkommen trocken zu bekommen. Es hat mich zwei Dollar und
75 Cent in Vierteldollarmünzen gekostet«, fügte er mit schmerzlicher Stimme
hinzu.
    »Dein Pech! Der Flimmel weiß,
was dieses Bootshausfeuer mich kosten wird, wenn die Bank davon Wind bekommt.«
    »Sarah, ich bin nicht in der
Stimmung, mich mit den finanziellen Problemen anderer Leute zu beschäftigen.«
    Inzwischen hüpften alle seine
Söhne wie Indianer um das Feuer, beschmierten sich mit dem Ruß des
feuergeschwärzten Grases, ließen ihre gräßlichen Schreie durch die Nacht gellen
und machten wertvolle pädagogische Erfahrungen. Lionel ließ sich neben Sarah
auf einem Baumstamm nieder, nahm ein etwa 30 Zentimeter langes Stück Pinie,
schälte die Borke mit vier gekonnten Beilhieben ab und begann, ein Spanbäumchen
daraus zu fertigen, indem er dünne Späne von etwa zweieinhalb Zentimeter Länge
aus dem Holz schnitt, wobei das eine Ende am Holz belassen wurde, so daß die
Späne zurückschnellten und sich spiralig zusammenrollten und der Stock
allmählich das Aussehen eines Weihnachtsbäumchens annahm.
    »Hast du eine Ahnung, was diese
letzte Irrsinnsidee von Vare mich kostet?« verlangte er zu wissen. »Erstens muß
ich eine Vollzeitkraft einstellen, um den Haushalt zu führen, und du kannst dir
nicht vorstellen, welche unverschämten Gehaltsforderungen diese Leute zu
stellen wagen.«
    Wenn sie sich ausmalte, was
diese bedauernswerte Haushälterin auszuhalten hatte, konnte die Bezahlung
eigentlich gar nicht hoch genug ausfallen, dachte Sarah.
    Doch sie sagte nichts, sondern
schaute fasziniert und erschreckt zugleich zu, wie gekonnt Lionel mit dem Beil
hantierte und wie er es schaffte, die dünnen Holzspäne ohne einen einzigen Ausrutscher
abzuschälen.
    »Und Vare vertritt absolut
lächerliche Forderungen in bezug auf die Unterhaltszahlungen. Diese gräßliche
Person Tigger hängt wie ein Blutegel an ihr. Ich finanziere den beiden ein
Leben im Luxus, während sie herumsitzen, sich Gin Fizz zu Gemüte führen und
sich über mich Trottel lustig machen. Aber damit ist Ende dieser Woche ein für
allemal Schluß. Ich habe Vare gestern abend mitgeteilt, daß ich nicht länger
gewillt bin, für sie und diesen Anthropoiden, mit dem sie sich abgibt, etwas zu
berappen.«
    Er warf das Spanbäumchen auf
den Boden und rammte das Beil so heftig in den Baumstamm, daß Sarah erschrocken
aufsprang. Lionel, der sich sonst immer so perfekt beherrschen konnte, hatte
einen regelrechten Wutanfall. Sie hatte nie geglaubt, daß er zu derartigen
Gefühlsausbrüchen überhaupt fähig war, doch da steckte das Beil, die Klinge
halb im Stamm, viel zu nah an der Stelle, wo Sarah gerade gesessen hatte.
    »Und in ein paar Monaten werden
die ganzen Schulgelder fällig.« Seine Söhne, selbst der kleine Frank, besuchten
selbstverständlich höchst progressive und dementsprechend teure Privatschulen.
»Die Unterrichtskosten werden bestimmt wieder steigen, wie alles andere auch.
Und Gott weiß, wie hoch die Erbschaftssteuern für Vaters Nachlaß ausfallen
werden, wenn die Sache endlich geklärt ist. Ich habe wahrscheinlich noch Glück,
wenn ich nicht noch obendrein Mutter unterstützen muß. Und du weißt ja selbst,
wie es heutzutage auf dem Aktienmarkt aussieht.«
    Sarah wußte es zwar nicht, doch
sie nahm an, daß es dort nicht gerade rosig aussah. Lionel hatte also auch
Geldsorgen, und offenbar waren sie sogar begründet. Plötzlich fiel ihr wieder
ein, warum Lionel so erstaunlich gut mit dem Beil umgehen konnte. Vare und er
hatten ihre Flitterwochen damit verbracht, an einem dieser Überlebenstrainings
teilzunehmen, bei dem jeder in einem anderen Abschnitt einer unwegsamen Wildnis
ausgesetzt wurde, lediglich mit zwei Streichhölzern, einem Kompaß und einem
Beil ausgestattet. Einige Familienmitglieder, allen voran Onkel Jem, hatten ihr
Bedauern darüber ausgedrückt, daß die beiden das Abenteuer mehr oder weniger
unbeschadet überstanden hatten.
    Sowohl Lionel als auch Vare
waren eifrige

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