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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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wünschte.
    Miffy selbst hielt sich
erstaunlich gut. Sie war sogar umsichtig genug gewesen, einen hiesigen
Party-Service für Speisen und Getränke sorgen zu lassen, wobei das Buffet
allerdings in der Hauptsache aus Schokoladenplätzchen und langweiligen
Hühnersandwiches mit unvollständig entfernten Krusten bestand. Jetzt, nach
Alice B.s Tod, würde das Essen sehr viel weniger interessant sein. Die
Gespräche zweifellos ebenfalls.
    Wenigstens lieferten Sarah und
Max heute genug Stoff für neue Diskussionen. Immer wieder begegneten ihnen
erstaunte Blicke. Max merkte bestimmt auch, was die Leute redeten, doch
entweder machte es ihm absolut nichts aus oder er schaffte es, so zu tun, als
ob. Warum sollte er sich auch darum kümmern? Sarah jedenfalls waren die Leute
gleichgültig.
    Aber Vare und Tigger stahlen
eindeutig allen die Show. Es war im großen und ganzen keine besonders elegante
Versammlung — Tante Appies braunes Crepe-Kleid war nicht einmal das
geschmackloseste Kleidungsstück — , doch Tiggers klobige Wanderstiefel,
schmutzige Cordhose und haariger Poncho gingen wirklich ein bißchen zu weit.
Wie immer sagte Tigger kein Wort, sondern lauerte in ihrer Ecke und starrte
jeden wütend an, der versuchte, sich ihr zu nähern.
    »Weißt du«, flüsterte Sarah Max
zu, »dieser Frau würde ich alles Zutrauen. Wenn sie überhaupt eine Frau ist.«
    »Sieht etwas psychopathisch
aus«, meinte auch Max. »Ich hoffe, die Frau deines Cousins ist sich bewußt, auf
was sie sich da eingelassen hat.«
    »Ich wage es zu bezweifeln.«
    Vare war in einem dreiteiligen
dunkelgrauen Herrenanzug mit Nadelstreifen erschienen, mit einer schwarzen
Krawatte und einem gestärkten weißen Hemd. Zweifellos war das ihre Vorstellung
von der passenden Garderobe einer Lesbierin bei der Beerdigung ihrer
Lieblingstante. Der Anzug paßte nicht. Er gehörte bestimmt Lionel. Eine echte
Lesbierin würde sich bestimmt besser und angemessener kleiden, dachte Sarah.
Sie nahm an, daß Vare sicher wieder einmal ihren Erfahrungshorizont zu
erweitern gedachte. Höchstwahrscheinlich würde sie zu Lionel und den Jungen
zurückkehren, sobald sie genug von Tigger hatte.
    Wenn Tigger sie überhaupt gehen
ließ. Sarah betrachtete das mürrische Gesicht unter dem ungewaschenen schwarzen
Haarschopf und war sich gar nicht besonders sicher, ob Vare ganz ohne Kampf
davonkommen würde. Wie Lionel gesagt hatte, zog Tigger aus der jetzigen
Situation nur Vorteile, indem sie sich mit Vare auf Kosten von deren Ehemann
amüsierte und aus Lionel alles herausholte, was nur herauszuholen war. Würde
sie wirklich zulassen, daß man ihr das Huhn, das goldene Eier legte, so einfach
fortnahm?
    Miffy bereitete dem Paar keinen
warmen Empfang. Sie übersah Tigger geflissentlich, ging auf Vare zu, warf einen
langen Blick auf den Dreiteiler und die schwarze Krawatte und ließ ein
verächtliches Schnauben hören.
    »Ach nein — wen haben wir denn
hier? Ich dachte, ich wäre dich endlich los, Vare, jetzt, wo Alice B. nicht
mehr da ist, um deine Verehrung zu genießen.«
    »Meine Anteilnahme an Tante
Alice’ Leben war absolut aufrichtig«, erwiderte Vare ohne einen Funken Gefühl.
    »Das bezweifle ich keinen
Augenblick. Immerhin gab es ja Anteilsaktien und Dividenden, ganz zu schweigen
vom Grundkapital. Aber wo du schon einmal hier bist, kannst du dir auch einen
Drink genehmigen. Genau das mache ich jetzt nämlich auch.«
    Miffy drehte sich um und
schritt hinüber zur Bar, die der Party-Service aufgestellt hatte. Vare, immer
noch mit unbewegtem Gesicht, folgte ihr und nahm sich ein Glas Tomatensaft. Das
mußte Tante Appies Einfluß gewesen sein, denn Miffy wäre es nie im Leben
eingefallen, für nichtalkoholische Getränke zu sorgen.
    Lassie stand ganz in der Nähe.
Sarah ging zu ihr.
    »Ich wußte gar nicht, daß Vare
Alice B. so häufig besucht hat.«
    »Das kommt daher, daß du nie da
bist. Vare hat diesen Ort schon seit einer ganzen Weile heimgesucht, obwohl sie
bis heute vernünftig genug gewesen ist, die abscheuliche Person da drüben nicht
mitzubringen. Und dann ausgerechnet an einem solchen Tag! Ihre Bälger hat sie
auch nie mitgebracht. Ich nehme an, sie hat gewußt, daß Alice B. schon mehr als
genug hatte, wenn sie allein aufkreuzte. Vare ist nicht dumm, weißt du, auch
wenn sie sich meistens wie eine Idiotin benimmt.«
    Vare war immerhin Sarahs
angeheiratete Cousine, und Sarah hatte keine Lust, sich Lassie Larringtons
Geschwätz über die Fehler von Lionels Frau

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