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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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anzuhören.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Vare
ist eigentlich hochintelligent. Ich habe noch nie jemanden gesehen, dem so viel
daran gelegen ist, seinen Horizont zu erweitern.«
    »Das kann man wohl sagen!
Besonders, wenn es darum geht, den finanziellen Horizont zu erweitern. Sie hat
nichts unversucht gelassen, ein Wunder, daß sie nicht auch noch für Alice das
Testament geschrieben hat.«
    Es gab also tatsächlich ein
Testament. Das war allerdings interessant, aber Sarah versuchte, sich ihre
Neugier nicht anmerken zu lassen.
    »Warum hätte sie sich die Mühe
machen sollen? Nicht, daß es mich irgend etwas angeht, aber ich habe Alice B.
immer als, nun ja, nicht gerade als Angestellte, aber doch als eine Art
Freundin und Hilfe zugleich für Miffy gesehen. Ich habe angenommen, daß sie
sich ihren Lebensunterhalt durch ihre Kochkünste und dergleichen verdient hat.«
    Lassie nahm einen Schluck aus
ihrem Glas. »Alice B. hat sich ihren Lebensunterhalt zwar tatsächlich damit
verdient, aber nicht, weil sie es nötig hatte. Ihr eigenes kleines Nest war
wohlgepolstert. Wenn du meine Meinung hören willst, werden sich einige Leute
bei der Eröffnung des Testaments gewaltig wundern.«
    »Tatsächlich?« sagte Sarah. »Dann
hoffe ich als liebende Verwandte, daß Vare auch etwas erbt. Du kannst dir
sicher vorstellen, mit welchen finanziellen Belastungen Lionel momentan fertig
werden muß, mit der Ausbildung der Jungen und dem ganzen Theater mit Vare.«
    Sie konnte nicht so tun, als
sei alles in Ordnung, wenn Vare und Tigger sich solche Mühe gaben, jeden merken
zu lassen, daß dies nicht der Fall war. »Und du weißt ja selbst, was Don
gestern über die Aktien gesagt hat«, warf sie schnell noch ein.
    »Erinnere mich bloß nicht daran«,
jammerte Lassie. »Ich bekomme die Börsenberichte jeden Tag zum Frühstück und
zum Mittagessen serviert, und wenn wir erst unsere Aperitifs einnehmen, ist er
überhaupt nicht mehr zu stoppen. Mein Gott, diese Bloody Marys sind aber
wirklich schlaff. Die muß wohl Appie gemacht haben.«
    »Ich glaube fast, du hast ein
Glas einfachen Tomatensaft erwischt«, klärte Sarah sie auf. »Den trinke ich
nämlich auch.«
    Allein für den Anblick von
Lassies Gesicht, auf dem sich das blanke Entsetzen spiegelte, hätte sich der ganze
Besuch gelohnt. Sie knallte das Glas auf eines von Miffys Birnenholzmöbeln,
raste zur Bar und überließ es Sarah, das Glas fortzuräumen, bevor sich ein
weißer Ring auf dem Holz bildete, und dabei über Vare nachzudenken.
    Sie wünschte sich nur, daß Max
bei ihr gewesen wäre und gehört hätte, was Lassie gesagt hatte, doch er wurde
momentan von Pussy Beaxitt in Beschlag genommen, die zweifellos versuchte, ihm
die geheimnisvollen Einzelheiten ihrer Beziehung zu entlocken.
    Sarahs Lippen zuckten. Da gab
es nicht allzuviel zu berichten, selbst wenn man die vergangene Nacht
mitrechnete. Pussy würde aus Max sowieso nicht viel herausbekommen.
    Tante Appies Augen waren immer
noch rotgerändert, doch außer ihr schien keiner den Verlust von Alice B. zu
beklagen. Die übrigen Anwesenden hatten offenbar inzwischen vergessen, warum
sie eigentlich hier waren, und die Versammlung in eine von Miffys üblichen
Parties verwandelt.
    Miffy selbst machte da keine
Ausnahme. Sie stand neben Pussy und nahm Max in die Mangel, mit dem Elan eines
Staatsanwaltes, der einem Zeugen der Gegenpartei auf den Zahn fühlt. Lassie,
die sich inzwischen mit zwei Martinis ausgerüstet hatte, also in jeder Hand ein
Glas hielt, gesellte sich dazu. Fast alle, selbst Vare und erstaunlicherweise
sogar Tigger, folgten ihrem Beispiel. Auch Bradley Rovedock befand sich unter
ihnen, obwohl sein Motiv sicherlich darin bestand, mäßigend auf die Anwesenden
einzuwirken, denn Sarah hörte, wie Miffy ihn anfuhr: »Halt den Mund, Bradley,
und benimm dich nicht wie eine verdammte alte Jungfer.«
    Jetzt geriet die Gruppe in
Bewegung.
    Sarah konnte flüchtig erkennen,
wie Miffy sich bückte und an einem der Strümpfe zerrte, die sie heute zu diesem
besonderen Anlaß trug. Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß Sarah Miffys haarige,
knotige alte Beine so sittsam bedeckt sah. Wenn es draußen eiskalt war, trug
Miffy wollene Unterhosen und Gummistiefel mit dicken Socken darin, die meiste
Zeit jedoch latschte sie lediglich in einem Paar abgelaufener Sandalen aus
Naturleder herum.
    Vielleicht hatte Miffy
beschlossen, daß sie sich lange genug seriös gegeben hatte. Sie drückte Max
energisch ihren Drink in die Hand,

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