Der Spiegel der Königin
Dunkelheit des Winters über den frühen Nachmittag gelegt. Nur am Horizont konnte man noch ein wenig Helligkeit erahnen. Das Land lag unberührt wie ein weißes Laken vor ihr. Die Soldaten hatten aus dem Gepäckkasten der Kutsche Schaufeln hervorgeholt und feuerten die Pferde an. Mit aller Kraft legten sich die Tiere in das Geschirr, doch der Schlitten, der schräg in der Schneewehe steckte, rührte sich immer noch nicht.
Elin genoss die Pause und sog tief die kühle Luft ein. Hier, weit draußen auf den Ebenen, gab es nichts Sch ö neres als den Winter und die Farben des Himmels.
»Geht zurück!«, rief der Kutscher der Gruppe zu.
Während Elin sich beeilte, Lovisa und den anderen zu folgen, fing sie einen Blick des jungen Marquis auf. Für einen Moment sah sie sich mit seinen Augen: ein unb e holfenes Mädchen mit einem hässlichen blauen Fleck im Gesicht. Und zu allem Überfluss schwankte sie in den hohen Schuhen und hatte Mühe, in dem engen Mieder Luft zu bekommen. Ein spöttisches Grinsen huschte über das hochmütige Gesicht des Adligen. Sein Pferd tänzelte auf der Stelle. Grob parierte er es durch und hielt es am viel zu kurzen Zügel zurück. Es war ein schönes Tier – schwarz, mit gebogenem Schwanenhals und einer Mä h ne, für deren Pflege ein Stallknecht viel Mühe aufgewe n det hatte.
Der Franzose beugte sich zu Magnus de la Gardie, nickte in Elins Richtung und sagte etwas. Seine Stimme war zu freund l ich , um nicht hinterhältig zu sein. Die Worte verstand Elin nicht, sehr wohl aber den Tonfall.
»Hör nicht auf ihn«, sagte Lovisa ärgerlich. Offe n sichtlich hatte sie vergessen, dass Elin kein Französisch sprach.
»Was bedeutet › tr é buche ‹ ?«, fragte Elin.
Lovisa seufzte.
»Stolpern. Er sagt, du läufst wie eine Ente, die über i h re eigenen Füße fällt.«
Elin warf dem Jüngling einen empörten Blick zu. Als hätte er nur auf ihre Reaktion gewartet, brach er in scha l lendes Gelächter aus.
Plötzlich erklang ein schrilles Wiehern. Holz knirsc h te, das Ächzen von Lederriemen ließ Elin alarmiert zur Seite springen. Aufgeregte Rufe und lautes Gebrüll hal l ten durch die Luft. Elin sah, wie eins der Kutschpferde sich aufbäumte und strauchelte.
»Hooo!«, rief der Kutscher. Die Zügel verhedderten sich, ein Riemen riss. Das Pferd verdrehte in Panik die Augen, bis das Weiße zu sehen war, und keilte aus. Holz splitterte und mit einem Mal spielten alle vier Kutsc h pferde verrückt. Unter dem Gewicht der Achsen, die sich bogen, ächzte der Schlitten und erhob sich aus seinem Schneebett. Die Mädchen kreischten, als das Gefährt sei t lich über den Schneebuckel gehebelt wurde, bevor es mit Getöse umkippte. Ein schrilles Wiehern ließ Elin h e rumfahren. Mit offenem Mund beobachtete sie, wie das Ross des Franzosen stieg. Für ein paar Sekunden glaubte sie auf ein Reiterstandbild zu blicken, dann scheute das Pferd und sprang zur Seite. Bockend wand und drehte es sich, brach aus, stemmte sich gegen den Zaum und riss dem Marquis schließlich mit einem Ruck die Zügel aus der Hand. Ein Grenadier sprang herbei, doch schon im näc h sten Augenblick taumelte er zurück und hielt sich stö h nend die Hüfte, an der ihn ein Huf getroffen hatte. Der dunkelgrüne Mantel des Marquis flog durch die Luft, auf und ab wie eine riesige Vogelschwinge, dann befö r derte ein gewaltiger Bocksprung den Jungen aus dem Sattel.
»Duck dich!«, schrie Elin. »Runter mit dem Kopf!« Nun sahen es auch die anderen. Der rechte Fuß des Re i ters hatte sich im Steigbügel verfangen. Das Ross, durch den Zug am Sattel noch mehr in Rage gebracht, trat wie von Sinnen aus. Elin blickte in seine weit aufgerissenen, braunen Augen, dann tat der Junge endlich das einzig Richtige, krümmte sich zusammen und schützte seinen Kopf mit den Armen. Ein Hinterhuf schnellte knapp an seinem Ellenbogen vorbei. Endlich waren auch die Gr e nadiere zur Stelle und kreisten das Pferd ein. Das riesige Tier legte die Ohren an, preschte los und schleifte den Marquis hinter sich her. Der Mantel rutschte ihm über den Kopf und folgte ihm wie eine Schleppe. Ein Soldat sprang vor, glitt jedoch ab und bekam den Zügel nicht zu fassen. Elin lief los.
»Halt!«, kreischte Lovisa, aber Elin kümmerte sich nicht um sie. Sie spürte kaum, wie sie in den ungewoh n ten Schuhen umknickte. Das Pferd galoppierte in ihre Richtung. Noch war es damit beschäftigt, vor dem G e wicht, das am verrutschten Sattel zog, zu fliehen, seine
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