Der Spiegel der Königin
Elin reckte ihren Hals. Irgendwo musste der Sohn des Grafen und der schwarzhaarigen Gräfin sein, der junge Marquis, der gestern mit Ebba Sparre durch den Park spaziert war. Gestern, als Fräulein Sparre für Elin so unerreichbar gewesen war wie der Polarstern.
Doch der französische Gast erschien nicht, dafür trat die Königin aus der Tür und ging mit energischen Schri t ten die Treppe hinunter. Ebba Sparre und eine Gruppe von Höflingen, die sie allesamt um einen Kopf überra g ten, hatten Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Als Ebba Elin entdeckte, glitt ein verschlafenes Lächeln über ihr G e sicht. Mit klopfendem Herzen k nickste Elin so, wie Lov i sa es ihr eben im Umkleid e zimmer beigebracht hatte.
Längst hatte die Hofgesellschaft ihre Plätze in den Schlitten eingenommen, als endlich auch Lovisa au f tauchte. Erleichtert bückte sich Elin nach ihrem Gepäck, aber weit kam sie nicht. Die Luft blieb ihr weg, Lichtbli t ze tanzten vor ihren Augen. Es war offenbar unmöglich, sich hinunterzubeugen, ohne zu ersticken. Also ging sie mit stocksteifem Rücken in die Knie und hangelte nach dem Bündel.
»Komm endlich!«, zischte ihr ein dickliches, bildhü b sches Mädchen zu. »Frau Lovisa wartet.«
Das Gepäck wurde ihr aus der Hand genommen, grobe Soldatenhände halfen ihr auf die viel zu hohe Trittstufe.
Ehe sie sichs versah, saß Elin bereits auf einer gepol s terten Bank, Schulter an Schulter mit dem dicken Frä u lein. Gegenüber leuchtete im Halbdunkel Lovisas G e sicht. Sobald die Tür geschlossen war, breitete sich eine angenehme Wärme aus, die ein tönerner und emaillierter Ofen verströmte. Rufe ertönten und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Verstohlen spähte Elin zwischen den Vorhängen hindurch. Das Letzte, was sie sah, bevor die Kutsche durch das große Tor in Richtung Stadt fuhr, war Victor. Wie eine lebendige Zierfigur stand er neben der riesigen Tür und blickte ihr mit besorgtem Gesicht nach.
Obwohl es so früh war, dass sogar die Pferde in den Stä l len noch schliefen, säumten Menschen die Straße, auf der sich der königliche Tross in Richtung Stockholm bewe g te. Elin staunte darüber, wie anders die Welt durch das Fenster einer Kutsche a ussah. Gleichgültige Mienen verwandelten sich in ehrfürchtige Gesichter, die Welt schien nur dafür da zu sein, sich den königlichen Karo s sen zuzuwenden und ihnen Platz zu machen. Alles Leben erstarrte für wenige Momente. Für Königin Kristina und den Hof, begriff Elin, lief die Zeit anders.
Sie fuhren ein Stück weit am Fyris-Fluss entlang und passierten die riesige Domkyrka, in die an jedem W o chentag die Wallfahrer strömten, um vor dem goldenen Schrein des Heiligen Erik zu beten. Elin erinnerte sich an die endlos langen Predigten und an die Kälte der Ki r chenbänke, die unbarmherzig unter die Kleider kroch.
»Wenn du weiter an deinen Handschuhen heru m zupfst, wirst du bald wieder frieren, weil die Fingerku p pen abreißen werden«, holte Frau Lovisas Stimme sie aus ihren Gedanken. Ertappt ließ Elin ihre Hände wieder in den Schoß sinken.
Die einzige Abwechslung, die die Fahrt bot, waren die Gespräche in der Kutsche. Ein wenig enttäuscht stellte Elin fest, dass sie sich kaum vom Tratsch in der Küche unterschieden. Man sprach über Königin Kristinas Ve r lobten, ihren Cousin Karl Gustav, und mutmaßte über einen möglichen Termin für die Hochzeit. Man überbot sich in Vermutungen und wusste dabei ebenso wenig darüber wie Olof, der Tischdiener.
»Wenn ihr mich fragt, hat er schon viel zu viel Geduld mit ihr gehabt«, sagte das dicke Mädchen, dessen Elle n bogen seit geraumer Zeit in Elins Seite drückte. »Immer wieder schiebt sie den Hochzeitstermin vor sich her.«
»Ich würde verstehen, wenn er es wäre, der sich ziert – oder möchtest du eine Frau haben, die flucht wie ein So l dat?«
Alle außer Elin und Lovisa kicherten.
»Karl Gustav müsste sie bezwingen wie der Bauer die Prinzessin mit der scharfen Zunge. Na, Mädchen ? Was machst du so große Augen? Kennst du das Märchen nicht?«
Elin schüttelte den Kopf und das Gelächter wurde la u ter.
»Na, dann erzähl es ihr schon, Tilda!«, sagte eine Frau zu dem dicken Mädchen. Die ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie wandte sich zu Elin um und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum.
»Das war eine rebellische Prinzessin, die nicht heir a ten wollte. Als ihr Vater es ihr doch befahl, sagte sie, sie würde nur den nehmen, der sie sprachlos machen
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