Der Spiegel der Königin
Aufmerksamkeit richtete sich ganz auf das Bündel, das es hinter sich herzerrte. Elin wartete den richtigen M o ment ab und sprang nach vorne. Knapp verfehlte sie den peitschenden Zügel, doch mit der rechten Hand bekam s ie den Kehlriemen zu fassen. Der Ruck, der durch i h re Schulter fuhr, schmerzte wie Feuer. Das Mieder nahm ihr alle Luft. Sie biss die Zähne zusammen und legte sich mit ihrem ganzen Gewicht in den Riemen. Schnee klatschte gegen ihre Wange und machte sie für einige Sekunden fast blind. Dennoch ließ sie nicht los, sondern klammerte sich mit der linken Hand an der Mähne fest. Das Pferd drehte sich um seine eigene Achse und schlei f te sie mit. Ein Schmerzensschrei erklang, dann das häs s liche Geräusch reißenden Stoffs. Elin wurde wie ein na s ser Lappen herumgeschleudert, bis es ihr schließlich g e lang, das Wolltuch mit der linken Hand von den Schu l tern zu ziehen. Schon hatte sie den Stoff hochgeworfen und zerrte ihn über die Pferdestirn. Noch zwei Handgri f fe und die Augen des Pferdes waren bedeckt. Irritiert riss der Hengst den Kopf hoch, blieb aber mit zitternden, a n gespannten Beinen wie angewurzelt stehen. Seine Fla n ken dampften, sein keuchendes Schnauben füllte die Luft mit Atemwolken.
»Bis du wahnsinnig, Mädchen!«, rief ein Grenadier. Ein Arm fasste sie um die Taille und riss sie von dem Pferd weg. Plötzlich hatte sich eine ganze Gruppe von Soldaten um das nervöse Tier versammelt. Sie trieben es zur Seite, banden die baumelnden Riemen hoch und z o gen den Sattel herunter. Jemand befreite den Fuß des Marquis aus dem Steigbügel und half dem stöhnenden Jungen auf die Beine. Als er mit dem rechten Fuß auftr e ten wollte, presste er zwischen den Zähnen einen Fluch hervor, den Elin auch ohne die Sprache zu kennen verstand. Unwillkürlich musste sie grinsen.
»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, zischte Lovisa. »Du hättest umkommen können!«
Flinke Finger zupften an Elins Haar. Ihre Frisur hatte sich aufgelöst, das lange Haar fiel ihr über die rechte Schulter.
»Und das Kleid!«, stöhnte Lovisa. »Sieh dich nur an!«
Zögernd wandte Elin den Blick von den Soldaten und betrachtete gehorsam ihren Ärmel. Der weiße Stoff hatte einen Riss bekommen und war über und über vom Schaum des Pferdemauls verschmiert. Ihre Schulter schmerzte und mit einem Mal fror sie so sehr, dass ihre Zähne klappernd aufeinander schlugen.
»Es tut mir Leid«, stammelte sie. »Ich werde es erse t zen.«
»Ersetzen! Du! Pah! Man sollte dich lieber gleich in Männerkleidung packen, wenn du dich am liebsten mit den Gäulen herumschlägst. Und wie kommst du dazu, dem Vieh dein gutes Wolltuch um den Kopf zu w i ckeln ? «
»Solange ein Pferd nichts sieht, bewegt es sich nicht. Bei den Gudmunds war das die einzige Möglichkeit, das bockige Kutschpferd anzuschirren.«
Lovisa verdrehte die Augen.
»So«, meinte sie sarkastisch. »Na, du kannst unserer Königin auf der Jagd wirklich bestens Gesellschaft lei s ten.«
Die Kutsche war beschädigt. An einer Stelle war ein Holm gesplittert, Farbe war abgeplatzt, Schneematsch hatte die Gardinen und den Samt der Sitze beschmutzt. Innen lagen Decken und Bündel, zerbrochene Lampen und die Scherben des Ofens wild verstreut. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Schlitten wieder fahrtüchtig war. Elin war froh, ihren Wollschal wiederzubekommen, auch wenn er verschmutzt und zum Teil nass war. Sie drückte ihren schmerzenden Rücken gegen die Lehne. Ihre gezerrte Schulter pochte.
Der Kutscher wollte gerade anfahren, als die Tür au f gerissen wurde. Grüner Stoff leuchtete auf. Der Marquis hatte Schwierigkeiten, sich zu setzen, ohne sein verlet z tes Bein anzuwinkeln. Magnus de la Gardie nahm ihm gegenüber Platz. Schneeklumpen lösten sich von seinem Mantel und zerstoben auf dem Holzboden.
»Hat jemand den Arzt verständigt?«, fragte Lovisa mit einem kritischen Blick auf das Knie des jungen Grafen.
»Van Wullen fährt im ersten Wagen mit der Königin und den Gästen. Sobald wir den Tross eingeholt haben, wird er sich die Wunde ansehen.«
Mit einem Ruck setzte sich der Schlitten schließlich in Bewegung und gewann schnell an Fahrt. Erst jetzt fiel Elin auf, dass jemand ein paar der Lämpchen, die nicht kaputtgegangen waren, wieder aufgehängt hatte. Im schaukelnden Licht betrachtete sie den Marquis. Auf se i ner Wange prangte eine Schürfwunde. Die Borten und Schleifen, die seine spanischen, halblangen Hosen zie r ten, waren zum Teil abgerissen
Weitere Kostenlose Bücher