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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: balzon
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und wagte nicht, zum Fenster zu g e hen. Längst waren die Wunden an ihren Händen verheilt, doch der Gedanke an den Mann, der immer noch nicht gefunden worden war, jagte ihr Angst ein. Mögliche r weise lebte er am Hof und stand in den Diensten eines Adligen. Verstohlen begann Elin damit, die Menschen im Schloss besonders aufmerksam zu beobachten. Oxe n stierna mit seiner ruhigen Art und seinem brütenden Groll erschien ihr ebenso verdächtig wie die anderen Mitglieder des Rats – mit Ausnahme von Magnus und dem Reichsadmiral Karl Karlsson Gyllenhielm, die der Partei der Königstreuen angehörten.
    Wenn die Königin im großen Audienzsaal Vertreter der Stände empfing, stand Elin neben der Tür in der N ä he der Gardisten und ließ ihren Blick über die Gesichter wandern. Unter dem gewaltigen Thronhimmel am Ende des Raums sah Kristina winzig aus, ihre Stimme aber war laut und bestimmt. Elin staunte über die Fähigkeit der Königin, auf alle Fragen mit dem gleichen Ernst einz u gehen, die Bauern zu besänftigen, die Bürger zu ermut i gen, die Adligen nicht zu verärgern und ihnen dennoch keine Zusagen zu machen. Als eine ganze Delegation von Geistlichen und Adligen erschien und sich lauthals darüber beschwerte, dass der französische Botschafter im Keller seines Hauses katholische Messen abhalten ließ, die auch die anderen Ausländer aus der Stadt besuchten, schaffte Kristina es, die Situation nicht eskalieren zu la s sen, sondern alle Parteien zu besänftigen. Weniger Glück hatte sie bei der Verleumdungskampagne gegen Adler Salvius, der von den Adligen als gewinnsüchtiger Ba u ernsohn geschmäht wurde. Als Kristina in einer Ratssi t zung bemerkte, Salvius würde im Reichsrat gute Dienste leisten, bekam der sonst so ruhige Oxenstierna einen Wutanfall, der bis vor die Türen des Versammlungssaals zu hören war. Nach solchen Sitzungen zog sich die K ö nigin erschöpft in die Bibliothek zurück und las schwe i gend in einem Buch, während Herr Freinsheim Elin u n terrichtete.
    Herr Freinsheim war der liebenswürdigste Herr, den Elin je kennen gelernt hatte. Der protestantische Bibli o thekar hatte eine angenehm ruhige Stimme. Ursprünglich stammte er aus Ulm und hatte lange an der Universität in Uppsala unterrichtet. Sein Humor war nicht so scharf und spottend wie der von Kristina. In seiner Gegenwart lernte Elin, wie schnell die Zeit verfliegen konnte.
    Für die französischen Gäste dagegen wurde die Zeit am Hof immer länger. Der Winter begann sie zu zermü r ben. Die Kavaliere verlegten sich darauf, im Schloss Scherze zu treiben oder Streit anzuzetteln. Elin hatte rasch gelernt, ihnen aus dem Weg zu gehen. Inzwischen kannte sie das Schloss so gut, dass sie innerhalb von S e kunden unsichtbar werden konnte. Nur während ihrer Reitstunden sah sie Henri ab und zu aus dem Fenster schauen, aber sie hatte beschlossen, ihn zu ignorieren, was ihr nach e i ner Weile auch gut gelang. Spelaren tan z te inzwischen unter ihr wie eine gespannte Bogensehne und Lars nahm sie zu Ausritten an die Ufer des Mäla r sees mit.
    Schnee stob, wenn das schwere Pferd in großen Sprüngen hinter dem viel schnelleren Ross des Reitle h rers hergaloppierte.
    »Nicht übel, Scheuerfräulein«, sagte Lars eines Tages nach der Reitstunde. »Wenn du Glück hast, nimmt die Königin dich nächste Woche auf die Schlittenjagd mit.«
    Elin strahlte und klopfte Spelarens Hals.
    »Darf ich dann Enhörning reiten? Nur für diesen einen Tag! Dann muss ich nicht hinter den anderen herhinken.«
    »Gib es endlich auf«, murrte er. »Wie oft soll ich es dir noch sagen: Enhörning bekommst du in tausend ka l ten Wintern nicht. Er erscheint sanft wie ein Lämmchen, aber wenn er freies Land sieht, verwandelt er sich in ein Schlachtross.« Elin kannte den gereizten Tonfall ihres Reitlehrers nur zu gut, um noch weiter auf ihrem Wunsch zu beharren.
    Mit glühenden Wangen kehrte sie in die Bibliothek zurück, wo Freinsheim sie schon erwartete. Der Lehrer schüttelte lächelnd den Kopf und zog ein langes Pferd e haar von ihrem Ärmel.
    »Du bist spät«, sagte er mit sachtem Tadel. Atemlos entschuldigte sich Elin und nahm am Tisch Platz. Zu i h rer Überraschung klatschte Freinsheim zweimal in die Hände und hob die Stimme.
    »Und Sie, Monsieur Henri, werden bestimmt bereits im Palast Makalös erwartet.«
    Elin fuhr herum und erstarrte. Henri de Vaincourt wandte nur zögernd den Blick von einer Sternkarte, die er eingehend betrachtet hatte, und lächelte

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