Der Spiegel der Königin
sie das zweite Schreiben aus der Stofffalte am Rock.
»Die Königin lässt ausrichten, dass der Brief in späte s tens acht Tagen am vereinbarten Ort sein muss.«
Jüterbocks Gesicht war angespannt, die Hand, die die Briefe hielt, zitterte leicht.
»Gut«, sagte er heiser. »Ich danke dir. Hier, nimm di e se Zügel mit und geh.«
Wenig später stand Elin wieder vor dem Haus. Simons Aufregung hatte sie angesteckt, sie musste sich beher r schen, sich nicht ständig umzuschauen. Der Mann mit dem Federhut stand immer noch am anderen Ende der Straße. Er betrachtete Jüterbocks Türschild und sah dann mit großer Konzentration auf ein Hausdach. Elins Herz begann schneller zu schlagen. Unauffällig überquerte sie die Straße und verschwand aus seinem Blickfeld. Dann drückte sie sich flink an eine kalte Hauswand, schaute vorsichtig um die Ecke und folgte den Augen des Ma n nes. Da fiel ihr eine winkende Bewegung auf einem der Dächer auf. Ein Späher! Elin fluchte. Sie musste Jüte r bock warnen! Seltsamerweise spürte sie in diesem M o ment keine Angst. Mit einer genau bemessenen Bew e gung steckte der Mann das Messer ein und begab sich auf Jüterbocks Straßenseite, wo sich ein anderer Mann wie ein Schatten aus einer Gasse löste. Schnauben und das Geräusch von einem scharrenden Huf erklang. Hielt j e mand in der Gasse Pferde bereit? Behutsam stellte Elin den Korb auf einer Treppe ab und wickelte die langen Zügel um ihren U n terarm. Im Schatten der Gasse waren der Mann mit dem Federhut und der zweite Unbekannte in ein Gespräch vertieft.
Elin zog sich unauffällig zurück, lief ein Stück weiter und huschte dort über die breite Straße. So schnell es auf dem gefrorenen Weg ging, hastete sie zwischen den Hä u sern hindurch. Hier musste Jüterbocks Hinterhof sein. Vor ihr erhob sich eine fensterlose Steinmauer – vermu t lich die Rückseite einer weiteren Werkstatt oder vie l leicht des Stalls. Ein leises Wiehern bestätigte ihre Ve r mutung. Eine Tür klappte. Elin wich zurück und hielt nach einer Möglichkeit Ausschau, in den Hinterhof zu gelangen. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine B e wegung und zuckte zurück. Da hockte der Späher – gut verborgen auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses beobachtete er Simons Hof. Nun gab er den Männern in der Seitengasse ein zweites Zeichen. Elin überlegte nicht lange. Sie raffte den Rock hoch und stopfte sich den Saum in den Bund. Nun hatte sie die Beine frei. Dann tastete sie nach einer Ritze in der Mauer und kletterte im Sichtschutz des Stalls an ihr hoch. Mit aufgeschürften Fingerknöcheln kam sie oben an und legte sich bäuc h lings über die Mauer. So konnte der Späher auf dem Dach sie nicht sehen. Rechts von ihr befand sich der Stall. Elin zog sich näher an das schmale Seitenfenster heran und schielte hindurch. Der Geselle, der eben noch den Sattelrahmen bezogen hatte, schob gerade Königin Kristinas Brief in ein Geheimfach unter dem Sattelblatt. Sorgfältig zurrte er die Schnalle darüber fest und stieg auf das Pferd. Pferd und Reiter verließen den Stall und verschwanden aus Elins Blickfeld. Zu spät. Rufen konnte sie nicht. Und wenn sie v on der Mauer in den Hof sprang und zu dem Kurier rannte, würde der Späher sie sofort entdecken. Elin übe r legte fieberhaft, dann robbte sie ein Stück auf der Mauer zurück und sprang auf die Straße. Der Aufprall nahm ihr die Luft, ihre Handflächen, mit denen sie sich abgestützt hatte, pochten. Sofort schoss sie hoch und lief los. Die Häuser schienen kein Ende zu nehmen. Sie umrundete ein weiteres Gebäude, bis sie in der Gasse stand, in der sie die Verfolger vermutete. Und richtig: Da war ein Schatten. Zuckende Pferdeohren und eine wippende Feder auf einem Hut. Die Verfolger laue r ten darauf, dass der Bote aus dem Hof ritt, um ihm zu fo l gen. Natürlich – mitten in der Stadt würden sie keinen Tumult riskieren. Elin sah sich um. Jedes Geräusch e r schien ihr plötzlich doppelt so laut, jede Kleinigkeit nahm sie mit größter Schärfe wahr. Zum Beispiel die beiden Heringsfässer am Rand der Straße. Gegenüber stand ein Karren. Elin schickte ein Stoßgebet zum Hi m mel, dass der Kurier di e sen Weg nehmen würde, und rannte los. Die Fässer waren leer und standen vermutlich bereit, um a b geholt zu werden. Sie verkroch sich hinter ihnen und lauschte. So schnell sie konnte, wickelte sie den Kutschzügel von i h rem Unterarm ab und schlang ihn um die Fässer. Hufschlag erklang. Jüterbocks Kurier. In
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