Der Spiegel der Königin
»Und ich habe beobachtet, dass ein Mensch, der auf eine Wand schreibt, seine Hand auf Augenhöhe hält. Wenn der Attentäter beim Öffnen des Fensters ebenso gehandelt hat, würde auch die Größe passen.«
Nach dem Brandanschlag wurde die Königin krank und litt an Schüttelfrost und Fieber. Fräulein Ebba wac h te an ihrem Bett, um ihr die Stirn abzuwischen, wenn die Fi e berträume sie u nruhig schlafen ließen. Gerüchte trieben durch das Schloss. Die Königin liege im Sterben, hieß es. Als Kr i stinas Kammerdiener Johan Holm erschien und Elin zur Königin bat, war sie überzeugt davon, dass es zu Ende ging. Da ihre Privatgemächer ausgebrannt waren, hatte man die Königin in einem anderen Flügel des Schlosses untergebracht. Elin erwartete, eine Atmosphäre behuts a mer Stille vorzufinden, stattdessen erklang von weitem eine laute Stimme. Mit betretenem Gesicht blieb Holm stehen und bat Elin mit einer höflichen Geste, sich zu gedulden. Die Gardisten lauschten gespannt.
»Nie werde ich meine Unterschrift unter diesen B e schluss setzen!«, donnerte die Stimme des Kanzlers Oxenstierna. »Solange ich lebe, werden die Reichsräte und der Reichstag ihn nicht als Thronerben anerkennen!«
»Karl Gustav ist die beste Wahl!«, gab die Königin zurück. Das klang nicht wie die Stimme einer schwachen Kranken.
»Es war schwer genug, den Rat davon zu überzeugen, dass dieser Pfalzgrafensohn Ihr Gemahl werden soll«, rief der Kanzler. »Dann allerdings sagten Sie, Sie würden keinen Mann unter Ihrem Stand heiraten, also soll Karl Gustav nun zum Oberbefehlshaber der schwedischen Truppen in Deutschland ernannt werden. Sogar dieser Wunsch wurde vom Rat respektiert. Aber Karl Gustav will nicht nach Deutschland. Er will Sie endlich heir a ten!«
»Eine tote Braut nützt weder ihm noch Schweden«, erwiderte Kristina. »Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Erst das Attentat in der Kirche vor einigen Monaten – nun der Brandanschlag. Begreifen Sie denn nicht, dass Schweden für den Fall meines Todes einen Nachfolger braucht?«
Oxenstierna senkte die Stimme.
»Einen Erben braucht Schweden.«
»Nicht von mir!«, schrie Kristina. »Niemals werde ich heiraten! Nie!«
In der Pause, die entstand, kam es Elin so vor, als würde die Zeit stehen bleiben.
»Nun, Kristina«, sagte der Kanzler schließlich. »Sie sind jung. Das Privileg der Jugend ist es, dass sie sprun g haft sein darf und ihre Meinungen immer wieder ändern kann.«
Elin überraschte der väterliche Tonfall des Kanzlers. Ein Scharren war zu hören und sie drückte sich in die Ecke. Mit großen Schritten verließ der Kanzler das G e mach der Königin. Wie immer trug er seine schwarzen Gewänder und den weißen Männerkragen. Aus seinen Bewegungen sprach Resignation. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie alt doch der eiserne Kanzler war.
Wenig später winkte ihr der Kammerdiener, in das Schlafzimmer der Königin zu kommen. Dort lag Kristina in einem riesigen Bett. Auf den Bettvorhängen waren in regelmäßigen Abständen goldene Kronen aufgestickt. Die Königin war blass, schwarze Schatten lagen unter ihren Augen. Ihre Nase ragte wie ein Habichtschnabel aus ihrem Gesicht. Sobald sie Elin sah, setzte sie sich auf und schickte mit einem Wink den Kammerdiener weg.
»Elin. Was machst du nur für ein Gesicht! Komm her und gib mir deine Hand!« Alle Kraft war aus ihrer Sti m me gewichen. Elin umfasste die kalte, feuchte Hand.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, flüsterte Kristina. »Du findest es auf dem Tisch.« Elin drehte sich um und entdeckte e in schmales Buch. »Trost der Philosophie«, las sie auf dem Titel. Behutsam zog Kristina Elin zu sich hinu n ter, bis sie ihr ins Ohr flüstern konnte.
»Schlag es auf und suche zwei verbundene Seiten! Zwischen ihnen findest du einen Brief. Hebe ihn auf und verstecke ihn gut – und wenn ich sterben sollte, dann bringe ihn unverzüglich zu Karl Gustav. Hörst du? Zu keinem anderen!«
»Sie werden nicht sterben!«
Die Königin lächelte schwach.
»Ich habe es nicht vor, aber man muss stets für alle Fälle gerüstet sein.«
»Sie müssen den Mann finden, der Ihre Gemächer in Brand gesteckt hat.«
Kristinas Lachen ging in ein Husten über.
»Natürlich suchen wir ihn. Aber soll ich alle Männer, die einen Federhut tragen, verhaften lassen ? «
»Nein«, antwortete Elin. »Aber er wird sich dort au f halten, wo er glaubt, dass Sie sind.«
Kristina zog die Brauen zusammen.
»Ich höre«, sagte sie
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