Der Spiegel der Königin
Freinsheim verlegen an. Er war so versunken darin gewesen, die Pl a neten und Sterne zu studieren, dass er sich jetzt offenbar nur langsam daran erinnerte, w o er sich befand. Elin irr i tierte sein Anblick – die Person, die sie hier sah, war kein hochmütiger Edelmann, sondern ein junger Mann mit traurigen Augen.
»Sicher, Monsieur Freinsheim«, entgegnete er mit sanfter Stimme. Dann wandte er sich Elin zu. »Sieh an. Die Küchenkönigin lernt in den Buchstaben herumzurü h ren.«
Von einer Sekunde auf die andere schoss Elin das Blut in die Wangen. Sie widerstand der Versuchung, das Ti n tenfass zu nehmen und es Henri ins Gesicht zu werfen.
»Wenn ich die Buchstaben nur halb so gut beherrsche wie andere Leute ihr Pferd, dann bin ich wirklich eine Königin«, entgegnete sie. »Die Königin der Schriften.«
Henris Lächeln verschwand. Sie freute sich, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung getroffen hatte.
»Interessant, dass Sie es ansprechen, Mademoiselle«, sagte Henri. »Ich hörte, Sie begleiten uns mit Ihrem a l tersschwachen Wallach zum Schlittenturnier. Es wird Ihnen sicher ein Vergnügen sein, den Schweif meines Pferdes zu bewundern – vorausgesetzt, Sie erkennen ihn auf die große Entfernung.«
Sein Lächeln flammte wieder auf, als er ihr empörtes Gesicht sah. Nun, so leicht würde sie sich nicht geschl a gen geben.
»Das letzte Mal sah ich nicht nur den Schweif Ihres Pferdes, sondern darunter auch Ihr Gesicht. Eine eige n willige Methode, Schnee zu essen.« Freinsheim legte seine Hand auf Elins Schulter.
»Genug jetzt«, sagte er freundlich. »Auch Feindscha f ten wollen behutsam gepflegt sein. Wollen Sie sich nicht die Hände reichen und Ihre Differenzen lieber auf einem Schachbrett austragen?«
»Feindschaft, Monsieur Freinsheim?«, erwiderte He n ri. »Eine Küchenmagd kann nicht mein Feind sein. Auch dann nicht, wenn sie wie ein Äffchen Kunststücke wie das Lesen und das Reiten lernt.«
Er verbeugte sich und ging mit raschen Schritten aus dem Saal.
»Nein, nein, nein, Elin«, sagte der Bibliothekar. »B ü cher sind zwar Waffen, aber dennoch nicht zum Werfen da.« Sacht wand er ihr das Buch, das sie fest umkla m mert hatte, aus der Hand.
»Den Globus sollte man ihm an den Kopf werfen. Was bildet der sich ein!«, erboste sich Elin. »Er ist so … eitel! Und widerlich, arrogant und …«
»… vor allem noch sehr jung. Er hat es nicht leicht, glaube mir.«
»Was hat er denn schon für Sorgen? Ob er einen Goldknopf mehr oder weniger am Wams hat?«
Freinsheim lächelte wohlwollend.
»Nimm die jungen Männer nicht zu ernst, Elin. Sie sind viel zu stolz und dazu hitzköpfig wie junge Pferde – und du bist auch nicht viel besser.«
»Immer noch besser als er!«
Der Bibliothekar runzelte die Stirn.
»Keine Adlige zu sein, heißt nicht, ein besserer Mensch zu sein«, wies er sie ernst zurecht. Elin machte den Mund zu und schwieg. Verbissener denn je vertiefte sie sich an diesem Tag in das Studium der Buchstaben, die sich anstellten wie eine Schafherde, die auseinander stob, sobald Elin sie zu fangen versuchte. Selbst nac h dem Freinsheim gegangen war, blieb sie n och mehrere Stunden über ihren Büchern sitzen. J e des Mal, wenn sie zur Kerze blickte, schien jemand ein großes Stück d a von a b geschnitten zu haben. Schließlich, als ihre Augen schon brannten, griff sie zum Federkiel und nahm ein Stück Pergament. Behutsam tunkte sie den angespitzten Kiel in die Tinte, setzte die Spitze auf das Blatt und schrieb.
Liebe Emilia,
Das Schreiben wollte auch nach den Wochen der Übung nicht so recht gelingen. Ihr Federkiel spreizte sich unter dem Druck ihrer ungelenken Schreibhand.
Ich hoffe, Dein Herz s chmerzt nicht mehr.
Mir
Erschöpft hielt sie inne und blickte zweifelnd ihr G e kritzel an. Es sah aus, als wäre eine betrunkene Spinne erst in die Tinte gefallen und dann über das Blatt gehu m pelt. Wie gerne hätte sie Emilia all das geschrieben, was ihr auf dem Herzen lag – tausend Momente, Ereignisse, Gespräche, tausend Zweifel und Sorgen, die sie nachts nicht schlafen ließen. Stattdessen setzte sie den Kiel wi e der an und beendete das Schreiben: g eht es gut.
Der Raum schwankte, die schattigen Gespenster fei x ten im zitternden Kerzenlicht. Elin rieb sich die Augen und starrte auf die Landkarte der neuen Welt, die an der Wand hing. Da waren sie – die Americas, die Africas, das Kap der Stürme und Terra Australis. Länder und Kont i nente, die sie nie sehen würde. Müde stand
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