Der Spiegel der Königin
noch, als sie endlich die Anlegestelle erreichte. Ob Helga noch dort war? Eine neue Sorge flammte in ihr auf – was, wenn sie nicht mehr ins Schloss kam? In di e sem Moment nahm sie den süßen Duft von Marzipan wahr. Sie drehte sich um und sank in Helgas Arme.
»Mein armes Mädchen!«, murmelte Helga immer wieder, während sie behutsam Elins Wunden reinigte. Elin saß zitternd am Tisch, an dem Helga noch vor wenigen W o chen den Schwan erschaffen hatte. »Lovisa stellt schon seit Stunden das halbe Schloss auf den Kopf, um dich zu finden«, flüsterte sie. »Ich habe gesagt, ich hätte dich das letzte Mal in den Vorratskellern gesehen. Oh, meine a r me Kleine! Ich wünschte, mein Neffe wäre hier. Er st u diert Medizin in Uppsala.«
»Es ist nicht schlimm«, murmelte Elin mit klapper n den Zähnen. Sie fragte sich, wo der Kurier wohl heute übernachten würde. Waren ihm weitere Verfolger auf der Spur? Nur langsam ließ die Anspannung nach. Hier, in der Geschirrkam m er, schlüpfte sie schließlich in ihr Mi e der und den Rock, den sie gestern getragen hatte. Helga steckte ihr das Haar hoch und stäubte es mit Parfümpuder ein. Nach und nach verschwand Elin, das Bauernmä d chen. Gerade war sie dabei, Handschuhe über ihre ve r wundeten Hände zu ziehen, als sie einen Schatten auf dem gefliesten B o den entdeckte. Mit einem Schrei sprang sie zur Seite. Im Bruchteil einer Sekunde sah sie einen ganzen Tag an sich vorbeiziehen – der Mann mit dem Federhut war ihr g e folgt und hatte sie gefunden! Ein Messer blitzte auf und Elin sank zu Tode getroffen auf die Fliesen. Doch der Schatten gehörte nur zu Lovisa.
In ihren Locken hing eine Spinnwebe. Obwohl sie s o fort ein strenges Gesicht aufsetzte, konnte sie ihre E r leicht e rung kaum verbergen.
»Da bist du ja. Erschöpft siehst du aus. Mein Gott, Helga! Was habt ihr nur mit dem Mädchen gemacht?« Rasch verbarg Elin ihre Hände in den Falten des Rockes. Zufällig blieb ihr Blick dabei an einem blanken Silberte l ler hängen. Schemenhaft erkannte sie darin das Gesicht einer jungen Hofdame mit ängstlichen Augen. Auf der Straße war ihr Gesicht schmutzverklebt gewesen – und ihr Haar unter dem Tuch verborgen. Selbst wenn sie sich begegneten, würde der Verräter sie unmöglich wieder erkennen.
»Und?«, fragte Lovisa streng. »Bedankst du dich nicht, dass ich dich aus der Küche erlöst habe ? Du glaubst nicht, wie sehr ich der Königin auf die Nerven fallen musste, bis sie ein Einsehen hatte.«
»Entschuldige«, erwiderte Elin gehorsam. »Ich danke dir. Du weißt gar nicht, wie sehr!«
Die alte Dame schenkte Elin ein strahlendes Lächeln. »Vielleicht wirst du ja in Zukunft auf mich hören. Und vergiss nicht, dich bei der Königin zu entschuldigen und dich auch bei ihr vielmals zu bedanken.« Elin lächelte müde. Wenn sich hier jemand bedanken würde, dann war es die Königin.
Der rote Handschuh
Das Jahr 1648 begann mit einem Wintersturm. Man wol l te Unglückszeichen am Himmel gesehen haben und berief sich auf die düsteren Prophezeiungen von Ster n deutern. Blass und übernächtigt erschien die Königin morgens um fünf in ihrem Arbeitskabinett und brütete über ihren Dokumenten. Immer noch war keine Nac h richt von Adler Salvius eingetroffen. Kristina trieb die Friedensverhandlungen unermüdlich voran. Sie hielt ihr Versprechen und schenkte Elin zum Dank für ihren Dienst eine hübsche Geldkassette aus Ebenholz und dazu zwanzig Riksdaler. Was Elin jedoch weit mehr freute als das Geld, das sie baldmöglichst Emilia schicken wollte, war die Befreiung von ihren Mädchendiensten und der Unterricht, den sie stattdessen erhielt. Jeden Morgen stand sie leise auf und schlich zur Waschschüssel, um die anderen Mädchen nicht zu wecken. Längst wunderten sich die Lakaien und Gardisten nicht mehr, wenn sie Elin vor der königlichen Bibliothek warten sahen. Um halb sechs Uhr morgens begann der Hauslehrer mit dem er s ten Unterricht. Manchmal, wenn die Arbeit ihr eine Pa u se bot, kam sogar Kristina mitten am Tag in die Bibli o thek, lauschte Elins Lektionen oder wies den Lehrer z u recht. Nach und nach entschlüsselte Elin das Mysterium der Schrift. Die Bücher verwandelten sich in Berge von Wis s en, die sie allerdings nur mühsam Buchstabe für Buchstabe erklimmen konnte.
In ihren Träumen wurde Elin von dem Mann mit dem Federhut heimgesucht und aus dem Schlaf geschreckt. In diesen Stunden lauschte sie dem pfeifenden Atmen der anderen Mädchen
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