Der Spiegel der Königin
aufrechterhalten.« Elin spürte Kristinas Atem auf ihrem Mund und lächelte über den behutsamen Kuss. Die Lippen der Königin waren kühl vom Wein. Elin wunderte sich darüber, wie einfach es war. Es war ein Kuss. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und Elin gestand sich ein, dass sie die Königin liebte – für all das, was sie war. Aber auch für all das, was sie nicht war und nie sein würde.
»Und?«, flüsterte Kristina ihr zu. »Bist du nun etwas anderes, als du warst? Wirst du dafür im Höllenfeuer schmoren?«
Elin öffnete die Augen. Mit einem Mal wurden die Mauern der Welt durchsichtig im Licht der rosenfarb e nen Sonne.
»Es gibt Männer, die ebenso sehr Frau sind wie ihre Mütter«, sagte Kristina. »Und Frauen, die so männlich sind wie ihre Väter. Die Seele kennt kein Geschlecht. Ob du eines Tages heiratest oder nicht, ist allein deine En t scheidung. Niemand kann es dir befehlen. Und wenn du mich fragst, rate ich dir sogar davon ab – ich bin übe r zeugt, dass jeder über kurz oder lang in einer Ehe u n glücklich wird.« Elin spürte unendliche Erleichterung. Kristina streckte sich und betrachtete nachdenklich das Bild, das vor ihnen auf dem Boden stand. Im Licht der letzten Kerzen begann das Gemälde allmählich zu verl ö schen. Schatten krochen über die gemalten Körper und sonnigen Landschaften.
»Ach Elin, dich werde ich am meisten vermissen, wenn ich nicht mehr hier bin«, seufzte Kristina.
»Sie … du willst auf Reisen gehen?«
Kristina streckte die Hand nach Elins Haar aus und ließ eine Strähne durch ihre Finger gleiten.
»Ich spreche davon, Schweden für immer zu verla s sen«, sagte sie leise. Elin hatte das Gefühl, dass die Flammen plötzlich Kälte abstrahlten.
»Schweden verlassen? Das kannst du nicht! Du bist die Königin!«
»Meine Güte, ich werde ja auch nicht sofort aufspri n gen und wegreiten! Nein, aber eines Tages möchte ich dieses Land verlassen. Nichts wünsche ich mir mehr!«
Elin kämpfte mit den Tränen. Sie würde allein zurüc k bleiben – allein in Stockholm, mitten im Wolfsrudel der Adligen, das nur darauf wartete , sie zu zerreißen.
»Und … deine Krone? Du wirst nächstes Jahr offiziell gekrönt!«
»Eine Krone kann man ablehnen oder sie später wi e der ablegen. Zumindest habe ich jetzt endlich einen off i ziellen Nachfolger«, gab Kristina zu bedenken. »Auch wenn der Rat und die Stände ihn nur zähneknirschend anerkannt haben. Karl wird ein guter König sein.« Sie lächelte und prostete Elin zu. Elin war nicht mehr nach Wein zumute.
»Und was wird … aus mir? Lässt du mich zurück?«
»Ich kann nicht meinen ganzen Hofstaat mitnehmen.« Als sie Elins enttäuschtes Gesicht sah, lachte sie laut auf. Ebba regte sich auf ihrer Bank, wachte jedoch nicht auf. »Ach Elin Trollkind!«, fuhr Kristina leiser fort. »Sollte ich jemals wirklich in den Süden gehen, in das Land der Musik und des Tanzes – dann nehme ich dich natürlich mit!« Elin hatte nicht gewusst, wie gut sich Erleichterung anfühlen konnte.
»Aber Italien – das ist doch ein katholisches Land«, sagte sie nach einer Weile.
»Na und? Viele große Geister und bemerkenswerte Menschen sind Katholiken. Monsieur Descartes gehört dazu, Monsieur Tervué …« Sie lächelte. »… und auch Henri de Vaincourt.« Elin versuchte den Stich, den sie bei der Erwähnung von Henris Namen spürte, zu ignori e ren.
»Aber du bist Lutheranerin«, beharrte sie. »Du hast für die Glaubensfreiheit der Protestanten gekämpft. Für die Schweden wäre es Verrat.«
»Dieselben Schweden hatten nichts dagegen, kathol i sche Bündnispartner wie Frankreich zu haben. Kathol i ken kämpfen auf der Seite von Protestanten gegen Kath o liken, wenn es um Gewinne geht – ebenso wie Luther a ner gegen Lutheraner kämpfen würden.«
Elin schwieg. Der Wein hatte ihre Wahrnehmung g e trübt und gaukelte ihr das Bild von Henri vor, der am Boden lag und aus einer Schusswunde blutete. Sein G e sicht war vor Schmerz verzerrt – und Elin hatte Angst um sein Leben. Mühsam rief sie sich in Erinnerung, dass Henri nur wenige Gassen vom Schloss entfernt in seinem Bett lag und wohlauf war .
»Zum Teufel mit solchen Gedanken«, sagte Kristina. »Die Regeln machen die Menschen, nicht die Priester – und ich bin sicher, dass wir dafür nicht ins Höllenfeuer kommen, wie unsere lutherischen Kanzelritter es behau p ten. Glaubst du vielleicht daran, dass Gottes geschrieb e nes Wort alles ist, was zählt?«
Elin
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