Der Spiegel der Königin
nor.
»Es sind nur zehn Meilen. Ich möchte nicht mit der halben Kavallerie in das Dorf reiten und die Leute scheu machen«, erwiderte Elin.
»Es ist mir egal, was du möchtest oder nicht. Ich möchte es nicht. Nur das zählt. Du denkst, nur weil du die Armbrust überlebt hast, bist du unverwundbar. Was sagt denn dein Freund Hampus dazu?«
»Ich habe ihn noch nicht getroffen, er kommt erst übermorgen von einer Reise zurück. Aber das spielt auch gar keine Rolle, ich will einfach …«
»Es treibt sich eine Menge Gesindel herum – und eine ausgeraubte oder geschändete Hofdame ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann.«
Elin wollte etwas erwidern, doch die Königin scheuc h te sie von ihrem Stuhl auf und schob sie unsanft zur Tür.
»Genug. Raus jetzt! Ich habe zu tun. Der Überse e handel organisiert sich nicht von allein.« Ihre Stimme wurde noch tiefer. »Und sollte ich hören, dass du ohne minde s tens zwei Begleiter weggeritten bist, lasse ich dich z u rückholen und du kannst bis zum Tag unserer Rückreise in deinem Gemach sitzen und sticken. Ve r standen ? «
»Ja, Majestät«, murmelte Elin. Sie machte einen w ü tenden Knicks und stürzte aus dem Raum. Auf dem Weg zu ihrem Gemach verfluchte sie Kristinas Dickköpfi g keit. In dem Zimmer, das man für sie hergerichtet hatte, nahm sie ihre Ledertasche und packte alles ein, was sie für Emilia mitgebracht hatte: zwei Kleider, die Medik a mente, ein paar warme Handschuhe für den Winter und gute, feste Schuhe. Die Tasche war schwer, es war ein gutes Stück Arbeit, sie in den Stall zu schleppen. Mit geübten Griffen sattelte Elin Enhörning und schnallte das Gepäck hinter dem Sattel fest. Gerade überlegte sie, wie sie ungesehen vom Hof kommen konnte, als sie Henri bemerkte. Lässig lehnte er an der Stalltür.
»Was haben Sie vor ? «
»Wonach sieht es denn aus?«, erwiderte Elin schni p pisch.
Henri zog den rechten Mundwinkel hoch.
»Wenn ich ehrlich bin, könnte man den Eindruck b e kommen, Sie würden dem Befehl der Königin nicht g e horchen.«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Möglicherweise doch. Zumindest, wenn es nach der Königin geht. Sie ließ mir gerade ausrichten, dass ich mich um Ihre Begleitung kümmern solle.«
Elin verkniff sich einen Fluch und funkelte ihn an.
»Beleidigt Sie die Vorstellung nicht, in ein schäbiges Dorf zureiten?«
»Sie haben sich sehr verändert, Mademoiselle.«
Elin antwortete ihm nicht, sondern führte Enhörning aus der Box. Vor dem Stall atmete sie die kalte Morge n luft ein und versuchte ihr kochendes Blut wieder zu b e ruhigen. Natürlich warteten bereits zwei Gardisten im Hof. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich geschl a gen zu geben.
Der Weg zu Emilias Dorf war schwieriger zu finden, als sie gedacht hatte. Mehrmals mussten sie Bauern fr a gen, die mit Heukarren, Hühnerkäfigen und Ziegen auf dem Weg in die Stadt waren. Elins Aufregung übertrug sich auf Enhörning, der zweimal versuchte durchzug e hen. Die Flaschen und Tiegel im Beutel waren offenbar aus ihren Stoffhüllen gerutscht, denn sie klapperten und klirrten bei jedem Schritt.
Endlich kam ein Dorf in Sicht – eine Ansammlung von niedrigen Hütten aus rot gestrichenem Holz. Von den grasbewachsenen Dächern blickten Ziegen und Hü h ner auf die Reiter herab. Elin sprang von Enhörnings R ü cken. »He, du!«, rief sie einem Bauern zu. »Emilia suche ich! Wo wohnt sie?«
Der Bauer starrte sie mit großen Augen an und deutete mit dem Daumen hinter sich.
»Das Haus dahinten. Gleich beim Tümpel.« Einer der Gardisten nahm Enhörnings Zügel und wartete, bis Elin den Beutel vom Sattel genommen hatte.
Elin vergaß, dass eine Dame nicht rennen durfte, und achtete nicht darauf, dass der Saum ihres Kleides über nasses Gras und Schlamm schleifte. Von weitem sah sie eine Frau neben d er Hütte stehen. Ihr rotes Haar hob sich von ihrem schwarzen Kleid ab wie ein Heiligenschein aus Kupfer.
»Emilia!« Die Frau fuhr herum. Vor Überraschung wäre Elin beinahe gestolpert. Im letzten Augenblick aber fing sie sich und blieb stehen.
»Wer sind Sie?«, fragte die fremde Frau.
»Elin. Elin Asenban.«
Die Frau war sichtlich erschrocken. Zu Elins Bestü r zung eilte sie zu ihr, griff nach ihrer Hand und küsste sie.
»Sie sind es«, flüsterte die Frau. »Ich danke Ihnen so sehr! Ich bin Emilias Schwester – Frida. Oh, dass Sie g e kommen sind!«
Angst legte sich um Elins Brust wie eine Klammer.
»Wo ist Emilia?«
Die Kammer, die sie
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