Der Spiegel der Königin
bei der Kavallerie in erster Reihe mitzureiten. Monsieur Henri geriet ins Kreuzfeuer und wurde vom Pferd geschossen.« Er seufzte. »Das geschieht nun ei n mal, wenn man einen jungen, in der Kriegskunst noch unerfahrenen Mann aufs Schlachtfeld schickt. Nun, alles andere sollte er Ihnen selbst erzählen. Grüßen Sie bitte die Königin von mir!«
»Das … werde ich«, murmelte Elin. Leise schlich sie die Treppe hinunter und floh auf die Straße. Diesmal blickte Henri ihr nicht durch das Fenster nach.
Das Schiff mit der Kriegsbeute aus Prag kam unb e merkt in den frühen Morgenstunden an, als die Lakaien noch schliefen und Johan Oxenstierna mit Fieber im Bett lag. Erst gegen drei Uhr morgens hatte Elin ihr Buch z u geschlagen, sich an das Fenster gesetzt und den Hafen betrachtet. Als sie die Fackeln am Ufer entdeckte und aufgeregte Rufe hörte, sprang sie auf, holte ihren Mantel und lief zu den Kellern. In den Ziegelgewölben waren die Schauerleute schon dabei, mit Stoff umhüllte Gegenstä n de über Flaschenzüge von der Anlegestelle direkt in die Keller hinunterzulassen. Kurz darauf erschien Kristina mit aufgelöstem Haar im Gewölbe. Sie warf Elin ein strahlendes Lächeln zu, zerrte den Stoff vom nächstbe s ten Gegenstand und stieß einen entzückten Ruf aus. Ein schwerer Goldrahmen kam zum Vorschein. Und ein nackter, anmutiger Fuß, von Meisterhand gemalt.
Noch vor Sonnenaufgang wurde in der Kunstkammer des Schlosses Platz für die neuen Werke geschaffen. E b ba und Elin arbeiteten fast den ganzen Tag daran, die Tafelgemälde deutscher, italienischer und niederländ i scher Maler auf Staffeleien und Tischen zu drapieren. Mit kritischem Blick wachte David Beck über das Arra n gement der Kunstwerke. Juwelen leuchteten in Schatu l len. Elin staunte über das Silber und die Medaillen, die Majoliken und Skulpturen. Zur Sammlung aus dem Hradschin gehörte auch die prächtige Ulfilas-Bibel in gotischer Sprache.
Gegen Mittag wagten sich erstmals die Hofdamen und die Frauen der Reichsräte in die Kammer und erblassten beim Anblick der nackten Schönheiten, die Maler wie Tizian, Tintoretto und Veronese auf die Leinwand g e bannt hatten. Obwohl s ie sich insgeheim vor einem Wi e dersehen fürchtete, hielt Elin verstohlen Ausschau nach Henri, aber der ju n ge Graf begleitete Chanut und dessen Frau diesmal leider nicht.
An diesem Tag predigten die Geistlichen von allen Kanzeln der Stadt ihre Entrüstung über die schamlosen Kunstwerke, aber Kristina ließ sich nicht beeindrucken, sondern spottete nur über das »Höllenfeuer-Gezeter«. Der Gottesdienst in der Domkyrka erinnerte an den Vo r abend des Jüngsten Gerichts. Elin langweilte sich unen d lich bei der düsteren Predigt und wusste, dass es der K ö nigin nicht anders ging. Endlich sprach der Pastor die letzten Worte und entließ die Kirchenbesucher. Elin konnte es kaum erwarten, das Gotteshaus zu verlassen. An der Treppe fing Ebba sie jedoch ab und nahm sie be i seite. »Komm heute Nacht in die Bilderkammer«, flüste r te sie mit einem verschwörerischen Unterton. »Sag ni e mandem etwas davon – und zieh dein gutes Kleid an!«
Mit gemischten Gefühlen machte sich Elin in dieser Nacht auf den Weg. Ihre Schuhe trug sie in der Hand und schlich über den nachtkalten Boden der Flure. Als sie wenig später in der Bilderkammer angekommen war, glaubte sie eine fremde Welt zu betreten. Marzipanduft und der Geruch nach Ölfarbe und Firnisharz erfüllten den Raum. In Glaskaraffen glühte roter Wein. Noch nie hatte sie ein solches Meer an Kerzen gesehen, Wärme wehte ihr entgegen wie eine Sommerbrise. Kristina hatte ein Kleid aus Atlasseide an, das sie sonst nur auf der Ballet t bühne trug.
»Willkommen!«, rief sie. »Heute Nacht gehören die Künste dieser Welt nur uns!« Mit einem energischen Wink scheuchte sie die Pagen aus dem Zimmer und ve r schloss die Tür. Den Schlüssel legte sie in eine der Juw e lenkisten. Mit e i nem verschwörerischen Lächeln drehte sie sich um. »Kommt und seht euch die Bilder an! Ein wunderschönes Geschenk für eine erhabene Königin!«
»Ein Geschenk nennen Sie es?«, sagte Elin mit gutm ü tigem Spott. »Ich nenne es eher Raub.«
»Fürsten rauben nicht, meine kritische Elin«, wies Kristina sie lachend zurecht. »Nenne diese Kunstwerke einfach meine persönliche Gratifikation. Auch Glauben s kriege sind nun mal nur ein anderes Wort für Eroberung s feldzüge. Und ich habe längst nicht so sehr geraubt, wie es meinen Ministern
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