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Der Spiegel im Spiegel

Der Spiegel im Spiegel

Titel: Der Spiegel im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Gesicht gesehen, denn es war mit einer stählernen Maske bedeckt. Ihr Kopf war kahl, und auch ihr nackter Körper war vollkommen haarlos. Ihre elfenbeinglatten Glieder, ihr Rumpf, ihre Brüste waren von makelloser Schönheit, doch wirkte ihre Nacktheit klinisch wie die eines Körpers im Anatomiesaal.
    Der kleine graue Mann hüstelte, als sie vor dem Podium standen.
    Sie hob ihren Kopf, die stählernen Lider öffneten sich, und sie betrachtete den Bettler mit jadefarbenen Augen.
    «Komm näher!» sagte sie träge, «komm herauf zu mir!»
    Ihre Stimme klang glatt und weich und auf unerklärliche Art künstlich.
    Der kleine graue Mann wollte dem Bettler auf die Bühne hinaufhelfen, aber der wies ihn mit einer Handbewegung ab und blieb reglos stehen.
    «Du bist-noch immer auf der Hut vor mir?» Sie erhob sich und kam an den Rand des Podiums. Sie stand unmittelbar vor dem Bettler und sah über ihre Brüste hinweg zu ihm hinunter. Der Geruch nach heißem Metall, der von ihr ausging, war betäubend.
    «Wer hat dein liebes Weib im Gefängnis verfaulen lassen?» fragte sie sanft.
    «Du, Königin.»
    «Wer hat deine Kinder verdorben und gegen dich gehetzt?» «Du, Königin.»
    «Wie hast du dein Bein verloren?» fuhr sie fast zärtlich fort. «Wer hat dich zum Bettler gemacht? Wer hat dir alles genommen und dich mit Schande und Kot überschüttet?»
    «Alles du, Königin.»
    Sie nickte und lachte leise.
    «Und trotzdem bist du noch immer auf der Hut vor mir.»
    Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. «Ich habe dir dein Reich geschaffen», sagte er langsam, «ich habe dich vor deinen Feinden beschützt. Erinnerst du dich daran?»
    Der kleine graue Mann hustete. Mit einer herrischen Kopfbewegung befahl sie ihm, sich zu entfernen. Er gehorchte und verschwand lautlos in der Dunkelheit des Saales.
    «Ich erinnere mich nicht», sagte sie dann, «aber es ist möglich, daß es so war. Du hast jedenfalls nicht mehr getan als deine Pflicht gegenüber deiner Königin.» Der Bettler schüttelte den Kopf. «Ich habe es getan, weil ich einen Eid geschworen habe. Das ist lange her. Damals waren wir beide noch jung.»
    «Du bist nicht sehr höflich», warf sie spöttisch ein.
    «Damals», fuhr er fort, «habe ich noch an dich geglaubt.»
    «Und jetzt glaubst du nicht mehr an mich?» «Nein.»
    «Warum hast du deinen Eid nicht einfach gebrochen?»
    «Von einem Eid gibt es nichts abzuhandeln. Was daraus wird, ist Gottes Sache.»
    «Man kann um alles handeln», sagte sie, «alles ist käuflich und verkäuflich. Alles. Das trifft auch für Gott zu. Auch er hat seine Preise, nicht wahr? Und sie sind nicht gerade bescheiden.»
    Eine Weile standen sie schweigend, dann fragte er:
    «Warum trägst du die Stahlmaske? Zeig mir dein Gesicht!»
    Sie lachte, als habe er ihr ein lüsternes Angebot gemacht.
    «Weißt du denn nicht, daß auch ich Schamgefühl habe - wenn es auch dem deinen entgegengesetzt ist.»
    Sie sprang von dem Podium herunter und stellte sich dicht vor ihn hin. Da er den Kopf wegwandte, hob sie sein Kinn mit ihrem Zeigefinger hoch und zwang ihn, ihr weiterhin in die Augen zu sehen.
    «Man sagt mir, du hast gestern gebettelt auf den Stufen der Kirche unserer Lieben Frau. Ist das wahr?»
    «Es ist wahr, Königin.» «Wie ich hörte, hat man dir viele Almosen gegeben. Haufenweise, stimmt das? Die ganze Stadt kam gerannt, Arm und Reich, um dich zu beschenken.» Er nickte.
    «Wieviel hast du bekommen?» «Viel», sagte er, «gegen Abend waren es fünf Säcke voll.» «Gold und Juwelen?» «Auch das.»
    Die Königin wandte ihm plötzlich den Rücken zu und sagte fast unhörbar: «Sie lieben dich, nicht wahr?» Er schwieg.
    «Warum lieben sie dich? Erkläre es mir!» «Ich weiß es nicht.»
    «Aber ich weiß es», sagte sie plötzlich hart. «Du wirst schweigen, Königin - aus Großmut.» «Großmut...» wiederholte sie erstaunt. Sie ging langsam um ihn hemm und stellte sich hinter seinen Rücken.
    «Du meinst», flüsterte sie ihm ins Ohr, «ich soll dir wenigstens diese eine Täuschung lassen. Du hast Angst, daß ich dir dein letztes Täubchen schlachte. Meine Zunge ist das Messer, und jetzt schneide ich ihm den Kopf ab: Sie haben es auf meinen Befehl getan.»
    Sie umarmte ihn von hinten und drückte ihren nackten Leib an den seinen.
    «Nein, nein», hauchte sie, «es ist nicht wahr. Ich habe gelogen. Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich bin müde. Ich bin durstig. Ich bin krank. Hilf mir! Hilf mir noch dies eine Mal, du hast es

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