Der Spiegel von Feuer und Eis
getäuscht.
Ein Knacken hinter ihr riss sie aus ihrer Erstarrung und ließ sie herumfahren. Jornas kam zwischen den Bäumen auf sie zugestapft. Seine Schritte stockten, als er Morgwen reglos im Schnee liegen sah. Dann kam er rasch heran und kniete sich neben ihn. Die Augen des Fauns wurden schmal. Sein Blick glitt über den schlaffen Körper, mit einem Mal war ein beinah unheimliches Glitzern in ihm. Cassim hielt unwillkürlich den Atem an, als sie das Grinsen sah, das plötzlich um seinen Mund spielte.
»Also doch!« Er lachte höhnisch. »Auch wenn ich nicht erwartet hätte, dass er eine der Bestien des Eisprinzen ist. – Jetzt wirst du dich nicht mehr weigern, mir Kaylens Splitter zu geben, Eisblut.« Seine Finger zerrten an Morgwens Gürteltasche.
»Was tut Ihr da?« Fassungslos beobachtete Cassim, wie er den Inhalt wahllos im Schnee verstreute. Jornas schenkte ihr keine Beachtung, fluchte stattdessen, packte Morgwens Hemd und riss es der Länge nach über der Brust auf.
»Hört auf!« Sie ergriff die Hände des Fauns, die mitleidlos über die schweißbedeckte Haut tatschten. Ein weiterer Krampf fuhr durch Morgwens Körper. Jornas interessierte es nicht. »Ihr seht doch, dass er verletzt ist. Wie könnt Ihr da …« Grob schüttelte der Faun sie ab.
»Was soll das Geschrei, Menschenmädchen? Was kümmert es dich, was aus der Bestie wird? Er hat dich die ganze Zeit hintergangen. – Und außerdem: In zwei, spätestens drei Stunden ist er ohnehin krepiert.«
»Woher wollt Ihr das wissen? Die Wunden sind …«
»Dummes Ding! Er hatte einen Armbrustbolzen mit einer eisernen Spitze im Bein. Eisen ist für einen wie ihn tödlich. Sein Gift hat schon zu wirken begonnen. Noch zwei Stunden Qual, dann ist es vorbei. – Verdammte Brut, wo sind die Splitter?« Der Faun zerrte an Morgwens Hosen, fuhr über seine Beine, streifte dabei die Wunde. Morgwen stöhnte auf, ein weiterer Krampf bog seinen Kopf nach hinten und spannte seinen Körper.
»Aufhören!« Wütend stieß Cassim Jornas die Hände vor die Brust. Der wankte, fing sich wieder, holte aus und schlug ihr mit einer solchen Wucht ins Gesicht, dass sie rückwärts in den Schnee stürzte. Die Finger an der pochenden Wange, starrte sie ihn einen Moment vollkommen verblüfft an.
»Tu so etwas nie wieder, Menschenmädchen!« Drohend beugte der Faun sich vor. »Oder du wirst es bereuen. – Von jetzt an ist es vorbei mit deinen Forderungen. Du wirst tun, was ich dir sage, ansonsten wird es dir leidtun!«
Ein letzter Blick zu ihr, dann glitten seine Hände wieder an Morgwens Beinen abwärts, betasteten die Stiefelschäfte. Mit einem triumphierenden Grunzen zog er das Stück Seide hervor, in das Morgwen die Splitter eingeschlagen hatte. Jornas wickelte den Stoff auseinander. Das kalte Glitzern der Bruchstücke spiegelte sich in seinen Augen. Hastig zerrte er seinen Beutel auf, kramte darin herum, förderte das kleine Holzkästchen zutage, das sie in Jarlaith gesehen hatte, und öffnete es. Cassim sog den Atem ein. In seinem Inneren glitzerten und blitzten noch mehr der Splitter. Mit einem Mal begriff sie, warum er so zornig geworden war, als sie ihn damit überrascht hatte. Er war der Magier, von dem Gerdan gesprochen hatte. Er stand gar nicht im Dienst des Lords des Feuers, sondern verfolgte seine eigenen Ziele. Das Gesicht des Fauns hatte sich zu einem unheimlichen Grinsen verzogen. Behutsam ließ er auch noch die beiden letzten Spiegelsplitter in das Kästchen hineingleiten,
dann schloss er den Deckel, verstaute es wieder und stand auf.
»Hoch mit dir, Menschenmädchen, wir gehen weiter!«
»Nein!« Kopfschüttelnd rutschte Cassim im Schnee von ihm fort.
Seine hellen braunen Augen wurden schmal. »Du solltest mir besser gehorchen. Ich kann dich jederzeit zwingen.« Spöttisch ging sein Blick zu Morgwen. »Und es ist niemand da, der dich beschützen würde, weil er eigene Pläne mit dir hat.«
»Nein!« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich lasse ihn hier nicht hilflos zurück. Ganz egal, ob er mich belogen hat oder nicht.«
»Einfältiges, weichherziges Ding! Er hat dich nicht nur belogen. Er dient dem Eisprinzen. – Steh auf und komm endlich! Ich bin es leid, hier herumzustehen.« Jornas machte einen Schritt über Morgwen hinweg auf sie zu.
Langsam erhob Cassim sich aus dem Schnee und ballte störrisch die Fäuste. »Nein! Ich gehe nicht! Nicht ohne ihn!« Und was auch immer er getan hat; wem auch immer er dient: Ich will, dass er es mir selbst sagt
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