Der Spiegel von Feuer und Eis
Sohnes?«
»Wenn Ihr das Menschenmädchen Cassim unbehelligt gehen
lasst, wird er sich freiwillig und zu Euren Bedingungen in Eure Hand begeben.« Gaeth hatte das Gefühl, an den Worten ersticken zu müssen.
Für einen Moment herrschte vollkommene Stille. Dann brach der Lord des Feuers in schallendes Gelächter aus.
Ihre Glieder waren noch immer schwer und gehorchten ihr nur widerwillig. Die Wärme, die sich während der letzten Stunden in ihnen ausgebreitet hatte, war in der Kälte unendlich schnell geschwunden. Sie versuchte, zumindest die Hände aus dem Schnee zu nehmen, und wurde wieder auf alle viere gestoßen. Gelächter und spöttisches Murmeln waren um sie herum. Rechts und links von ihr zerstampften massige Hufe den Boden, der eine Mischung aus gefrorener Erde und Eis war. Sie schloss die Augen und kämpfte die Verzweiflung nieder. Mit der Angst gelang ihr das nicht. Es war ein Fehler gewesen! Nein, wohl eher Wahnsinn! Wie konnte ich auch nur einen Augenblick lang glauben, man würde mich nicht entdecken. Das hier ist ein Heerlager. Cassim grub die Finger in den Schnee. Aber sie hatte es versuchen müssen! Sie hatte nicht still in ihrem Zelt sitzen und alles einfach geschehen lassen können! Nicht, nachdem sie all das erfahren hatte! Nicht, nachdem sie gehört hatte, was er getan hatte!
Er musste es auch erfahren! Er musste erfahren, dass er sein ganzes Leben eine Lüge geglaubt hatte. Und das, bevor er an der Seite seiner … dieser Hexe in diese unsinnige Schlacht zog.
Also hatte sie sich aus ihrem Zelt und dem Lager des Lords des Feuers geschlichen. – Und nun war sie hier. Geradewegs in die Arme gelaufen war sie den beiden Centauren, die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, sie bis ins Heerlager der Eiskönigin
zu treiben. Wahrscheinlich sollte sie dankbar sein, dass sie nur mit ein paar Schrammen davongekommen war.
»Sieh an, wer da aus der Zweiten Welt zurückgekehrt ist.«
Bei diesen höhnischen Worten hob Cassim den Kopf. Die Eiskönigin stand nur wenige Schritte von ihr entfernt vor einem prunkvollen weißen Zelt. Um sie her verneigten sich Centauren, Faune und Eisdryaden tief. Ein ganz in weißes Leder gekleideter Mann mit fahlblondem Haar und hellen goldenen Augen, der unerklärlich fehl am Platz wirkte, hielt sich angespannt am Rand der Menge. Über den Rücken seiner scharf gebogenen Nase lief eine Narbe. Eben duckte auch Morgwen sich aus dem Eingang des Zeltes. Cassim erschrak bei seinem Anblick. Er wirkte seltsam erschöpft. Die brennende Kälte in seinen Augen war nur noch ein schwaches Glimmen im Vergleich zu dem Lodern, das sie kannte. Für den Bruchteil eines Wimpernschlages schien er zu erstarren, doch dann trat er hinter die Hexe. Seine Miene war reine Arroganz und Langeweile.
»Hattest du nicht gesagt, das Menschengör sei tot?« Die Eiskönigin drehte sich zu ihm um.
Erde und Feuer! Er hat sie belogen! Er hat behauptet, ich wäre nicht mehr am Leben. Wahrscheinlich damit niemand nach mir sucht. Cassim zwang sich zum Atmen, versuchte, in Morgwens Blick irgendetwas zu lesen. Er sah sie einfach nur an.
»Nun? Hast du mir nichts zu sagen?« Der Ton der Eiskönigin war zu einem lauernden Schmeicheln geworden.
Aufreizend langsam wandten Morgwens frostglitzernde Augen sich ihr zu. »Sollte ich?«
»Vielleicht kannst du mir dieses Wunder ja erklären.«
»Sollte. Ich?«
Die Eiskönigin hob die Hand, die Finger zu Klauen gekrümmt, als wolle sie ihn schlagen. Doch dann ließ sie den Arm wieder sinken. Lange musterte sie Morgwen mit schmalem Blick, dann erschien ein grausames Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Nachdem du dem Auftauchen deines kleinen Spielzeuges so wenig Bedeutung beimisst, wird es dir wohl nichts ausmachen, wenn ich sie dahin schicke, wo sie deiner Aussage nach ja bereits sein sollte?«
»Ich will mit Prinz Morgwen sprechen!« Der Umstand, dass die Eiskönigin und Morgwen zu ihr hersahen, überzeugte Cassim davon, dass sie tatsächlich verständliche Worte hervorgebracht hatte. Sie richtete sich weiter auf. Ein knapper Wink befahl den Centauren, sie gewähren zu lassen. Das Lächeln der Hexe wurde noch eine Spur grausamer. Der Kloß aus Angst in ihrer Kehle drohte Cassim zu ersticken. »Ich will …«, setzte sie erneut an, doch die Eiskönigin ließ sie nicht ausreden.
»Ja, ja, ich habe dich schon verstanden, Menschengör. – Nur interessiert es mich nicht, was du willst, weil du nämlich sterben wirst.«
»Du lässt sie gehen!«
»Was war das?« Mit einem
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