Der Spiegel von Feuer und Eis
paar Faunkrieger und Eisdryaden sind im Palast zurückgeblieben. Er ist also weitestgehend unbewacht.«
Gaeth musste sich ein Glucksen verbeißen, als er begriff. Ein
böses, eisiges Lächeln glitt über Morgwens Lippen. Höhnisch langsam nickte er. »Ganz genau, mein Freund.« Übergangslos war er wieder ernst. »Ich will, dass das Rudel sich sammelt. Es sollte ihnen keine Schwierigkeiten bereiten, die Welpen aus dem Palast zu befreien. – Rein und wieder raus! Keine Heldentaten! Von niemandem! – Wer zu schwach oder unerfahren ist, um mit hineinzugehen, legt eine falsche Fährte. Und dann sollen sie nach Nordwesten gehen. Hinter den Klippenpässen gibt es unzählige kleine, kaum zugängliche Täler. Höhlen, Wälder und Wild. Dort können sie sich verstecken, bis alles vorüber ist. Ich werde die vier, die bei mir bleiben, hinter den anderen herschicken, sobald ich kann. Sie werden sie mühelos aufspüren können.«
»Wir werden die Augen nach ihnen offen halten und …«
»Gaeth! – Ich brauche dich hier.« Der seltsame Ton in Morgwens Stimme ließ ihn aufhorchen.
»Vermutlich nicht, um mit den anderen vieren an deiner Seite zu bleiben, oder irre ich mich?«
»Nein, du irrst dich nicht. Ich habe eine Bitte! – Eine Bitte, Gaeth, kein Befehl! Wenn deine Antwort ›Nein!‹ lautet, werde ich einen anderen Weg finden, irgendwie, und du führst das Rudel über die Pässe.«
Gaeth schluckte unbehaglich. »Wie lautet deine Bitte?«
»Es ist möglich, dass ich dich damit in den Tod schicke.«
»Wie lautet deine Bitte?«
»Ich möchte, dass du zum Lord des Feuers gehst.«
»Was?« Scharf sog Gaeth die Luft ein.
Morgwen sprach leise weiter, als hätte er seinen erschrockenen Ruf nicht gehört. »Das Menschenmädchen muss bei ihm sein. Aber jetzt, da sie den Spiegel zusammengesetzt hat, ist sie auch für ihn wertlos. – Geh zu ihm und sag ihm, dass ich mich freiwillig in seine Hand begebe, wenn er Cassim unbehelligt gehen lässt.«
»Du bist verrückt!«
»Dann ist deine Antwort also Nein?«
»Frostfeuer, natürlich …« Gaeth verstummte. Er hätte nicht erklären können, was es war, aber etwas ließ ihn misstrauisch werden. Eindringlich musterte er Morgwen. »Du wirst auf jeden Fall zu ihm gehen, auch wenn ich ›Nein‹ sage, nicht wahr?«
»Wie gut du mich doch kennst, Gaeth.« Das Lächeln, das diesmal über die Lippen seines Freundes huschte, war ohne jede Freude.
Gaeth fluchte eine ganze Weile.
Gesang und Lachen. Helles Zwitschern, flüsterndes Rauschen wie von Regen. Geruch von nasser Erde und heißem Sand. Süße auf der Zunge. Wärme, die sie aus der Kälte des Nichts lockt. Das Glitzern eines Spiegels. Schatten, in ihnen Augen wie Gold und Feuer. Ein Mann beugt sich über sie. »Komm zurück, Mädchen.« Die Züge schön und schrecklich zugleich. So qualvoll vertraut und doch seltsam fremd. »Morgwen?« Schwarzes Haar, an den Schläfen von glänzendem Silber durchwebt. »Wach auf, Mädchen.« »Morgwen? Warum?« Ein Zug um den Mund, der von uraltem Schmerz spricht. »Du sollst alles erfahren, Mädchen, aber du musst aufwachen.« Eine Hand fasst ihre, zieht sie vorwärts und zurück. Das Glitzern des Spiegels splittert zu Flammen.
Die Minotauren winkten ihn vorwärts, hoben den Eingang des Zeltes für ihn beiseite. Gaeth duckte sich hindurch und trat in angenehme Wärme. Das hier war Wahnsinn. Frostfeuer, er hatte alles versucht, um seinen Freund von diesem irrwitzigen
Einfall abzubringen – ebenso gut hätte er auf ein Stück Eis einreden können.
Er konnte immer noch nicht glauben, dass er tatsächlich hier war. Aber da alles Argumentieren, Drohen und Flehen Morgwen nicht von seinem Entschluss hatte abbringen können, hatte er schließlich zugestimmt.
Niemand hatte ihn aufgehalten, als er das Heerlager der Eiskönigin verließ, vorgeblich um den Firnwölfen des Eisprinzen dessen Befehle zu überbringen. Die dumme Brut der Eiskönigin wusste nicht, dass sich ihre Geister auf diese kurze Distanz noch mühelos finden konnten, sodass Worte vollkommen unnötig waren. Doch kaum hatte er das Lager hinter sich gelassen, hatte er eine ganz andere Richtung eingeschlagen, denn Morgwens Bitte hatte ihn hierher geführt: mitten ins Lager des Feindes!
Rasch schaute er sich um. Trotz der vielen Lebensspannen als Sklave unter dem Zauber der Eiskönigin war er immer noch ein Krieger, der seinem Gegner keinen Vorteil lassen würde, wenn er es vermeiden konnte.
Alles um ihn herum war in den Farben
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