Der Spiegel von Feuer und Eis
mehr allein zahlen lassen. Deshalb gab ich ihr ein paar Kupferstücke.«
»Kupferstücke?« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, setzte Cassim sich wieder an ihren Platz. »Ich könnte schwören, es war Silber.«
»Nun, dann habt Ihr Euch wohl geirrt. Es war Kupfer, sonst nichts.« Er leerte seinen Becher auf einen Zug und stand auf. »Bitte entschuldigt mich nun, Cassim. Ich bin müde. Ich ziehe mich zurück. Gute Nacht.«
Verblüfft blickte sie ihm nach, wie er die Stufen hinauf verschwand.
Als der Wirt kurz darauf an den Tisch trat und Teller und Schüsseln mit Fleisch und Gemüse und einen Laib Brot vor ihr platzierte, sah sie auf.
»Eure beiden Begleiter sind nicht mehr hungrig?« Sein Ton war unwillige Höflichkeit. Wahrscheinlich hatte seine Tochter
sich nur ihretwegen noch einmal an das Herdfeuer stellen müssen.
Cassim schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. »Der eine ist nur einen Augenblick in den Hof hinaus. Er wird gleich wieder hier sein. Und der andere … Ich werde nachsehen, ob er sich schon zur Ruhe gelegt hat. – Es duftet übrigens herrlich!«
Der Wirt schien ein wenig besänftigt. Rasch stand sie auf und lief die Treppe hinauf. Unter der Tür zu ihrem Zimmer leuchtete das goldene Licht einer Kerze. Ohne sich mit Anklopfen aufzuhalten, öffnete sie. Jornas hockte auf seinem Bett, in den Händen ein kleines hölzernes Kästchen, das mit kunstvollen Schnitzereien verziert war. Als sie eintrat, fuhr er zu ihr herum. Im Inneren des Kästchens blitzte es, mit einem hellen, scharrenden Klirren bewegte sich etwas darin.
»Was willst du hier?« Wütend funkelte der Faun sie an, schloss hastig den Deckel und schob es in die Tiefe seines Beutels zurück.
Einen Herzschlag lang war Cassim zu verblüfft, um ihm zu antworten. Dann stieg Zorn in ihr auf und sie ballte die Hände zu Fäusten.
»Der Wirt hat das Mahl für uns aufgetragen. Ich dachte, Ihr wolltet vielleicht doch mit mir und Morgwen essen.« Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, den Ärger aus ihrem Ton zu vertreiben.
Noch immer feindselig, blickte Jornas sie an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich gehe zu Bett. Gute Nacht.«
»Wie Ihr wollt.« Brüsk wandte sie sich ab, schloss die Tür geräuschvoll hinter sich und stieg die Treppe in den Schankraum hinunter. Mit jeder Stufe fragte sie sich, was wohl Bedeutsames in diesem Kästchen sein mochte, dass Jornas so wütend reagiert hatte.
Als sie das Ende der Treppe erreichte, kam Morgwen gerade aus dem Hof herein. Auch die Aedochan waren inzwischen fort, ebenso wie der überwiegende Teil der Handwerker.
»Wo ist der Faun?« Morgwen verfolgte mit gehobenen Brauen, wie sie an ihm vorbeimarschierte und sich auf ihren Platz fallen ließ.
»Er will zu Bett gehen und kommt nicht«, beschied sie ihm knapp und schämte sich im gleichen Atemzug schon dafür, dass er ihren Ärger zu spüren bekam.
»Aha.« Er setzte sich ihr gegenüber und musterte sie eingehend. »Alles in Ordnung? Oder muss ich mit dem Faun ein kleines Gespräch führen?«
Die Vorstellung, wie ein solches »Gespräch« zwischen Morgwen und Jornas aussehen könnte, entlockte Cassim ein Grinsen.
»Nein, es ist alles in Ordnung.« Sie schüttelte den Kopf und beäugte, was da vor ihnen stand.
Schon als der Wirt die Schüssel mit dem Fleisch auf den Tisch gestellt hatte, war Cassim das Wasser im Mund zusammengelaufen. Lammfleisch in Karntunke, dazu noch dampfendes Brot, das obendrein nicht nur aus dem Mehl der Zerna-Früchte gebacken zu sein schien. Sie häufte sich eine Portion auf ihren Teller und machte sich darüber her. Morgwen zögerte noch einen Moment, in dem er sie noch immer ansah, dann bediente auch er sich.
Am Tisch der Handwerker klapperten die Würfel hastiger und das Murmeln der Männer wurde angespannter. Der Ältere der Händler verabschiedete sich von seinem Kollegen, bezahlte beim Wirt seine Zeche und ging. Wenig später erhob sich auch der Jüngere, wünschte eine Gute Nacht und stieg die Stufen zum ersten Stock hinauf.
Als einige Zeit später draußen Glockenschläge hallten, war es, als hätte jemand einen Alarmruf ausgestoßen. Die Handwerker brachen ihr Spiel schlagartig ab, warfen ein paar Münzen auf den Tisch und verließen den Schwarzen Jern so hastig, dass es beinah einer Flucht gleichkam. Kaum war der Letzte über die Schwelle, als der Wirt auch schon den Riegel vor die Tür
schob und sie obendrein mit einem schweren Balken sicherte. Dann verschwand er in der Küche, wo das
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