Der Spiegel von Feuer und Eis
auszulöschen, sollten sie sich jemals begegnen.«
Cassim sog scharf die Luft ein. »Seinen eigenen Vater? Das ist … entsetzlich! Wie kann er so etwas …«
Das Gelächter der Händlerin ließ sie verstummen. »Ihr habt tatsächlich keine Ahnung, Mädchen. – Glaubt Ihr wirklich, er schreckt davor zurück, seinen Vater in die Zweite Welt zu schicken, wenn er sogar mit seiner Mutter schläft?«
»Wer behauptet das?« Morgwens Stimme klang seltsam sanft. Das Eis im Raum knisterte und knackte. Bisher hatte er beinah gelangweilt zugehört, doch jetzt hob er den Kopf. Mit schmalen Augen musterte er Seijna Ritwa quer über den Tisch hinweg. Die Flammen im Kamin schlugen in die Höhe und sanken auf das Öl zurück. Verwirrt blickte Cassim auf seine Hände, die er flach auf die Tischplatte gepresst hatte.
Die Händlerin sah ihn an, schüttelte den Kopf. Die Perlen in ihrem Haar klackerten. »Woher soll ich das wissen? Ich habe es irgendwo gehört.« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Becher. »Wenn man so viel herumkommt wie ich, merkt man sich nicht den Namen jedes Geschichtenerzählers, den man einmal in irgendeiner Schenke gehört hat. – Warum ist das wichtig?«
Morgwen nahm langsam die Hände vom Tisch. Sein Blick streifte Cassim. »Ist es nicht. Ich war nur neugierig. – Entschuldigt mich.« Er stand auf und verließ mit langen Schritten den Raum.
Seijna Ritwa sah ihm abschätzend nach, ehe sie sich Jornas zuwandte. »Ein wenig aufbrausend, Euer Freund. Er hat zur Hälfte Eisdryaden-Blut in den Adern, nicht wahr?«
In einer ergebenen Geste breitete der Faun die Hände aus, ehe er einen weiteren Schluck Wein nahm. »Ja, das hat er. Und er kann eine rechte Plage sein.«
»Das klingt, als sei er kein angenehmer Reisegefährte?«, überlegte die Händlerin laut.
»Nein, das ist er …«
»Er ist ein ebenso angenehmer Reisegefährte wie jeder andere auch!« Cassim funkelte Jornas für einige Herzschläge wütend an, dann stand sie abrupt auf. »Ihr entschuldigt mich.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, durchquerte sie die Schenke und trat in den Hof hinaus. Brennende Kälte und das sanfte Schimmern von Eis in der Dunkelheit empfingen sie hier. Sie schlang fröstelnd die Arme um sich und sah sich um. Es dauerte nicht lange, bis sie Morgwen entdeckte. Den Kopf in den Nacken gelegt, lehnte er an einer eisüberwachsenen Holzstrebe, die das Vordach eines angebauten, kleinen Stalles trug, und starrte düster vor sich hin. Darauf bedacht, ihn nicht zu erschrecken, trat sie neben ihn.
»Warum bist du gegangen?«
Einen Augenblick antwortete ihr nur Schweigen, dann stieß er langsam den Atem aus. »Ich konnte …« Er verstummte, schüttelte den Kopf. Das Brennen der Kälte ließ allmählich nach. »Vergiss es! Ich musste einfach raus. Dieses dumme Geschwätz war unerträglich. – Aber was machst du hier draußen?« Eine Braue gehoben, schaute er sie an.
»Ich wollte nachsehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.« Sie rieb ihre Arme. »Kommst du wieder rein? Ich erfriere.«
Um seinen Mund zuckte ein Lächeln. »Geh schon vor. Ich komme gleich nach.«
»Versprochen?«
Übertrieben feierlich legte er zwei Finger über sein Herz. »Versprochen, Flammenkatze.«
Cassim knurrte, stieß ihm die Faust zwischen die Rippen und flüchtete ins Innere des Jern zurück. Hinter sich hörte sie sein leises Lachen, das noch immer seltsam gepresst klang. Sie hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als sie überrascht stehenblieb.
Seijna Ritwa ließ gerade ein paar Münzen in ihre Geldkatze gleiten, die Jornas ihr offenbar gegeben hatte. Ein kurzes Nicken zu ihren Gehilfen, dann stand sie auf und kam auf Cassim zu, schob sich mit einem Lächeln und einem leichten Kopfneigen an ihr vorbei und verließ die Schenke. Einen Moment starrte Cassim die geschlossene Tür an, dann ging sie zum Tisch zurück, von dem sich eben auch die beiden Männer erhoben und ihrer Herrin folgten. Einige der Händler und auch die beiden Frauen aus dem Südlichen Volk waren offenbar bereits gegangen. Die Aedochan-Krieger musterten sie mit unergründlichen Blicken.
»Das seid Ihr ja wieder, Cassim«, begrüßte der Faun sie und wies auf den Weinkrug. »Noch ein Schluck?«
Sie schüttelte den Kopf, schaute noch einmal zur Tür. »Warum habt Ihr ihr Geld gegeben?«
Jornas leckte sich die Lippen, rollte seinen Becher zwischen den Händen. »Nachdem Ihr beide so unhöflich wart und einfach fortgelaufen seid, wollte ich Seijna Ritwa unseren Wein nicht
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