Der Spiegel von Feuer und Eis
ging, stets behandelte er mich wie eine Ebenbürtige. Er diente dem Lord des Feuers, wie so viele in dieser Stadt es noch immer tun. Und auch wenn wir unter dem Fluch der Eiskönigin gefangen sind, haben wir die Hoffnung nach wie vor nicht aufgegeben, dass sich die alten Zauber irgendwann erfüllen werden und dass der Spiegel von Feuer und Eis eines Tages wieder zusammengesetzt wird. – Vor einiger Zeit erfuhr Kaylen, dass weit im Süden ein Magier nach den verlorenen Splittern des Spiegels suchte. Ihr könnt euch unser Entsetzen nicht vorstellen: Wenn es diesem Mann gelingen würde, den Spiegel nach seinen Wünschen zusammenzufügen und sich so seine Macht untertan zu machen …« Sie schauderte.
Cassim sah zu Morgwen. Der hob die Schultern.
»Ist das denn möglich? Den Spiegel nach eigenem Belieben zusammenzusetzen?«
Gerdan nickte. »Ja, es ist möglich. – Um das zu verhindern, schickte Kaylen seine besten Männer aus. Zum einen sollten sie diesen Zauberer finden und zu ihm schaffen, und zum anderen so viele Spiegelsplitter wie nur möglich aufspüren und nach Jarlaith bringen. Er schwor, sie hier in Verwahrung zu nehmen, bis der Lord des Feuers sie von ihm einfordern würde. Niemand, der den Spiegel aus Gier und Herrschsucht zusammenfügen wollte, sollte jemals in der Lage sein, alle Splitter in seinen Besitz zu bringen. – Hätte er sich nur niemals mit diesen Mächten eingelassen. – Den Zauberer konnten seine Männer nicht finden. Niemand wusste, wer er war oder wie er aussah. All jene, denen er die Splitter abgenommen hatte, konnten sich nicht mehr an ihn erinnern. Doch Kaylens Männer
kehrten mit zwei Splittern nach Jarlaith zurück. – Und von diesem Augenblick veränderte mein Gemahl sich.« Sie krallte ihre Finger ineinander. »Er wurde hartherzig und grausam. Nichts war ihm mehr gut genug, niemand konnte ihn zufriedenstellen. Zugleich entwickelte er eine erschreckende Gier nach allem Schönen und Kostbaren. Seinen Schwur hatte er vergessen. Er wollte den Spiegel selbst besitzen! Zu Anfang sprach er noch davon, Jarlaith endlich aus dem Eis zu befreien, aber dann… – Wir stritten immer häufiger. Ich bat, flehte, drohte. Er schlug mich, verhöhnte mich.« Ihre Hand stahl sich zu dem roten Edelstein an ihrem Hals. »Ich blieb bei ihm, weil ich ihn liebte; weil ich hoffte, was auch immer ihn verändert hatte, würde ihn irgendwann wieder aus seinen Klauen entlassen; er würde die Kraft haben, sich zu befreien, wenn ich nur zu ihm stünde. Aber dann begann er mit seinen Jagden und ich …« Sie schüttelte hilflos den Kopf. »Ich ertrug seine Grausamkeit nicht mehr länger.« Ihre Stimme zerbrach, während ihre Finger den Anhänger mit solcher Gewalt umklammerten, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie holte zitternd Atem, bis ihre Stimme ihr wieder gehorchte. »Eines Nachts floh ich aus dem Palast. – Alles, was ich mitnahm, war unser Juwel.« Zärtlich streichelten ihre Fingerspitzen den Anhänger. Ihre Augen gingen ins Leere, sahen Dinge, die lange zurücklagen. »Es war seine Morgengabe nach unserer Hochzeitsnacht. – Jetzt ist es alles, was mir von unserer Liebe geblieben ist.« Ihr Blick kehrte zurück in die Wirklichkeit. Sie lachte leise und bitter. Die Kette des Anhängers zerriss. »Und selbst das hat er zerschlagen.« Schlaff fiel ihre Hand in ihren Schoß, der Edelstein schlug mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf. Ihre Finger krallten sich erneut ineinander. Cassim bückte sich nach dem heruntergefallenen Schmuckstück.
»Was hat die Eiskönigin mit all dem zu schaffen?« Morgwens Ton war noch immer sanft.
Gerdans Kopf flog hoch. »Hätte sie in ihrer Bösartigkeit den
Spiegel von Feuer und Eis vor all der Zeit nicht zerschlagen, wären diese verfluchten Splitter niemals in die Hände von Menschen geraten. – Sie ist schuld an allem!« Jedes ihrer Worte sprach von abgrundtiefem Hass.
Cassim hörte ihre Stimmen nur noch wie aus weiter Ferne. Seit sie den Anhänger aufgehoben hatte, war ihr ganzes Denken einzig auf ihn gerichtet. Edelsteine hatten mit ihren flüsternden, raschelnden Stimmen zu ihr gesprochen, das Auge des Feuers hatte sogar zu ihr gesungen, doch noch nie zuvor hatte sie einen Stein weinen hören. Sie schloss die Augen, legte behutsam beide Hände um ihn und lauschte seinen Tränen.
Erst als jemand sie an den Schultern packte und rüttelte, wurde ihr bewusst, dass ihre Wangen nass waren. Wieder ein Schütteln, sehr viel heftiger dieses Mal. Langsam hob sie
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