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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morrin Alex
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fort von den Menschen, ehe sein Magen ihm qualvoll klarmachte, dass er nach wie vor nichts anderes bei sich behalten konnte als Wasser und rohes Fleisch.
    Noch immer von Krämpfen geschüttelt, lehnte er in einem Winkel, als sie ihn fanden. Ihre braungelben Augen betrachteten ihn in undeutbarem Schweigen, dann zogen sie ihn vom Boden hoch. Wortlos nahmen sie ihn zwischen sich, um seine kraftlosen Schritte zu stützen, und führten ihn die Gasse hinunter. Das Lärmen der feiernden Bürger Jarlaiths blieb mehr und mehr hinter ihnen zurück. Irgendwann bogen sie in Straßen ein, in denen das einzige Licht das sanftblaue Glitzern des Eises war. Die Häuser, die sie säumten, waren still und dunkel und erfroren.
    Schließlich gab es nur noch das Geräusch ihrer Schritte, zu dem sich das leise Klicken von Krallen gesellte. Ein großer weißer Körper streifte an ihnen vorbei, nur um gleich darauf wieder in den Schatten zu verschwinden. Dann passierten sie einen Torbogen, von dem funkelnde Eiszapfen hingen, überquerten einen kleinen Innenhof und betraten ein elegantes eisüberkrustetes Haus. Eine kunstvoll verzierte Tür schwang auf und gab den Blick frei auf einen Raum, der trotz seines kalten, schimmernden Überzuges noch immer prachtvoll war. Vor einem Feuer, das in einem fast mannshohen Kamin prasselte, lag ein mächtiger weißer Firnwolf. Bei ihrem Eintritt hob er den Kopf. Ein Stück seines Ohres fehlte. In den gelben Augen glitzerte es gefährlich, während er missbilligend die Lefzen kräuselte. Neben ihm stand ein Mann, der wie seine beiden Begleiter und er selbst ganz in weißes Leder gekleidet war. Sein Haar glänzte wie Silber und Elfenbein, und seine Augen hatten die Farbe von hellem Gold. Hohe, ausgeprägte Wangenknochen und eine gerade, scharf gebogene Nase verliehen seinen Zügen eine aristokratische und zugleich kalte Schönheit – die von
einer Narbe zerstört wurde, die sich quer über seinen Nasenrücken zog. Auch er hatte sich ihnen zugewandt. Nun wurde sein Blick schmal.
    »Was tust du hier, kleiner Bruder? Du hattest den Befehl, beim Rest des Rudels zu bleiben.«
    Obwohl der Ton des Mannes tadelnd war, spürte er nur Erleichterung darüber, dass er zumindest ihn endlich gefunden hatte. Noch immer unsicher auf den Beinen, trat er vor, wusste plötzlich nicht mehr, wie er sich ihm in dieser Gestalt nähern sollte.
    Um den Mund seines Gegenübers zuckte es kurz. »Warum bist du hierhergekommen?«
    »Herr, ich …« Seine Stimme klang erschreckend rau. Er verstummte, zögerte ob der Nachricht, die er überbringen sollte. Die hellen Goldaugen musterten ihn mit kühler Unergründlichkeit. Plötzlich schien es ihm eine gute Idee, der Sitte der Menschen zu folgen, und er sank auf ein Knie, richtete den Blick auf den Boden. Ein blaugrüner Teppich, auf dem sich silberne Muster ineinanderschlangen, lag unter der Eisdecke. »Die Eiskönigin schickt mich. – Ich … ich habe eine Botschaft.«
    Einen Moment lang war es still, dann: »Ich höre.«
    »Sie war bei den Höhlen.« Das Grauen war wieder da, zwang ihn, jede Silbe mühsam hervorzustoßen. »Sie hat die Jungen in ihren Palast bringen lassen. Alle! Auch Roísins Zwillinge.« Um ihn herum war ein mehrstimmiges Keuchen. Von dem Wolf mit dem halben Ohr kam ein dunkles Grollen. Die Zwillingsmädchen waren nicht mehr als einen Neumond alt. Sie brauchten noch die Milch ihrer Mutter. Sie von ihr zu trennen, kam einem Todesurteil gleich. »Sie …« Er schluckte hart. »Sie sagte, ich solle meinem Herrn ausrichten, dass Sie es sehr bedauern würde, wenn den Jungen etwas zustieße, aber ihr Palast könne ein äußerst gefährlicher Ort sein, wenn man sich zu lange in ihm aufhielte.« Hilflos sah er auf. »Sie sagte, mein Herr würde ihre Nachricht verstehen.«

    Für kaum mehr als einen Atemzug schlossen sich die goldenen Augen des Mannes. »Wurde jemand verletzt?«
    »Zwei der jungen Rüden wurden von den Centauren grausam getreten. – Und sie haben Sive getötet.« Er senkte den Blick. Bei dem Gedanken daran, wie der magere Körper der schon gebrechlichen alten Wölfin verdreht im Schnee gelegen hatte, wurde seine Kehle eng. Sive war die Einzige gewesen, die den Eisprinzen besänftigen konnte, wenn er sich in dieser seltsam dunklen Stimmung befand, in der er zuweilen aus dem Palast der Eiskönigin zurückkehrte. Noch nicht einmal Gaeth duldete er dann bei sich. Auch die anderen Wölfinnen wurden von ihm davongejagt. Nur sie hatte er dann nicht mit Bissen

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