Der Spiegel von Feuer und Eis
Der
Laut klang so nahe, dass die Bestie in der Stadt sein musste. Auf Morgwens Zügen stand Fassungslosigkeit – aus der im nächsten Atemzug mörderischer Zorn wurde. In seinen Augen lohten Frost und Feuer. Er hatte die Zähne gefletscht wie ein Tier. Jäh fuhr er herum, drosch mit geballter Faust voller Wucht gegen die Brust des Stierkriegers, dass Eis und Stein Risse bekamen und seine Knöchel bluteten. Dann stand er vollkommen reglos, darum bemüht, seine Wut zu bändigen, während er hart nach Atem rang. Irgendwann hob er den Kopf. Frost und Feuer in seinem Blick waren zu einem gefährlichen Brennen geworden. Beinah wäre sie zurückgewichen, als er ihre Hand packte und sie von den Trümmern der Bank hochzog. Die Diamantschnüre lösten sich bei dieser jähen Bewegung endgültig und ihr Haar floss ungebändigt ihren Rücken hinunter.
»Wir verlassen Jarlaith!« Seine Stimme war noch immer nur ein heiseres Knurren.
Angst lähmte Cassims Kehle. Sie konnte nur nicken. Feuer und Erde, steht uns bei! Sie haben uns gefunden!
Noch immer wie benommen, ließ sie es zu, dass er sie hinter sich herzerrte, zurück zum Palast, in den Saal hinein, durch die Menge der Tanzenden hindurch, direkt auf Kaylen und Gerdan zu. Die Gäste stolperten hastig aus seinem Weg. Jarlaiths Prinz erhob sich alarmiert, als er sie kommen sah.
»Was ist geschehen?« Beunruhigt schaute er von Morgwen zu Cassim.
»Wir verlassen Jarlaith!«
Kaylen und Gerdan tauschten einen hastigen Blick. »Warum so plötzlich?«
»Lass das unsere Sache sein. – Schickt einen Diener zu dem Faun. Er soll zu unseren Gemächern kommen.«
»Wartet, was …«, verblüfft starrte Kaylen Morgwen an. »Ihr wollt jetzt sofort gehen? – Das könnt Ihr nicht.«
Eisblaue Augen wurden schmal, musterten ihn gefährlich.
Erneut blickte Kaylen zu seiner Gemahlin, dann erhob er sich. »Kommt! Wir müssen das nicht hier besprechen.« Er winkte einen Diener herbei. »Der Faun Jornas soll umgehend in mein Arbeitszimmer kommen.« Der Mann verneigte sich und hastete davon. Kaylen streckte Gerdan die Hand hin, nickte Morgwen und Cassim zu. »Kommt! Ihr könnt mir in Ruhe erzählen, was geschehen ist, wenn wir ungestört sind.« Ohne auf das unwillige Glitzern in Morgwens Augen zu achten oder ihm die Möglichkeit zu einer Antwort zu geben, drehte er sich um und verließ den Saal. Dieses Mal war es Cassim, die Morgwen hinter sich herschleppte.
Kaylen führte sie einen Korridor hinunter und schließlich in denselben Raum, in dem er sich vor wenigen Tagen bei ihnen entschuldigt hatte. In einer auffordernden Geste wies er auf die gepolsterten Stühle und lehnte sich rücklings gegen das dunkle Holz seines Schreibtischs. Cassim und Gerdan setzten sich. Morgwen trat an den Kamin und starrte in die Flammen. »Was ist geschehen, dass Ihr Jarlaith mitten in der Nacht verlassen wollt?« Obwohl die Frage Morgwen galt, blickte Kaylen Cassim an.
»Wie ich schon sagte: Das ist unsere Sache.« »Morgwen, bitte, lass es mich erklären.« Cassim hatte sich auf ihrem Sitz halb zu ihm umgedreht. Er ließ ein scharfes Schnauben hören, schwieg aber. Sie wandte sich wieder Kaylen zu. »Ihr wisst, warum wir hierhergekommen sind und was das Ziel unserer Reise ist. Wahrscheinlich hat Gerdan Euch auch erzählt, dass Jornas mich aus dem Kerker der Eiskönigin befreit hat.« Langsam holte sie Atem, sah einen Moment auf ihre Hände, ehe sie den Blick wieder zu Jarlaiths Prinzen hob. »Was Ihr nicht wisst, ist, dass wir von den Firnwölfen des Eisprinzen verfolgt werden – und dass er vermutlich selbst bei ihnen ist.«
»Und was hat das damit zu tun, dass Ihr uns so überstürzt verlassen wollt?« Obwohl Cassims Worte Kaylen sichtlich erschüttert
hatten, klang seine Stimme noch immer erstaunlich gefasst.
»Sie haben uns gefunden. Wir sind uns sicher, dass sie in Jarlaith sind.« Über die Schulter blickte sie zu Morgwen hin. »Wir waren draußen im Garten, um … um …« Sie schüttelte den Kopf, sprach dann weiter. »Wir haben einen von ihnen heulen gehört.«
»Und Ihr seid sicher, dass es einer der Firnwölfe des Eisprinzen war? Es könnte ebenso gut ein Grauwolf sein, der sich durch eine Spalte in die Moräne verirrt hat.«
Entschieden nickte Cassim. »Es war ein Firnwolf.«
Kaylen stützte die Hände auf die Kante des Schreibtischs, blickte zu Gerdan. »Ich kann nicht zulassen, dass Ihr geht!«
»Sind wir Gefangene?«, erkundigte Morgwen sich gefährlich sanft vom Kamin her.
»Nein,
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