Der Spieler (German Edition)
einer Greisin gepaart mit einem jugendlichen Körper habe. Doch da ist er nicht sehr wählerisch. Er macht das bei jedem.« Sie lächelte schwach. »Aber vielleicht nicht bei dir. Du bist zu wertvoll, um dich zu berühren.«
»Zu zart.«
»Du musst nicht so verbittert klingen. Du bist einzigartig. Wir werden einen Star aus dir machen!« Belari sah mit einem gierigen Ausdruck in den Augen auf ihren Schützling herab. »Dein Aktienkurs wird steigen, und du wirst ein Star sein.«
Lidia schaute durch das Fenster zu, wie Belaris Gäste eintrafen. Grün und rot blinkende Luftgleiter schlängelten sich von Sicherheitsleuten flankiert die Einfahrt entlang, schwebten im Dunkel über den Pinien.
Nia trat hinter Lidia ans Fenster. »Sie sind da.«
»Ja.«
Der Schnee hing schwer wie dicke Schlagsahne in den Bäumen. Vereinzelt bahnten sich blaue Scheinwerfer einen Weg durch den Schnee und die finsteren Schatten des Waldes – Bursons Skipatrouille, die auf ein verräterisches rotes Ausatmen hoffte, das einen zwischen den Bäumen versteckten Eindringling verraten würde. Ihre Lichtkegel glitten über die uralte Ruine eines vom Dorf bis hier oben aufsteigenden Skilifts. Er rostete still vor sich hin; nur wenn der Wind sich in den Sitzen verfing, schwankten die Kabel quietschend hin und her. Träge schaukelten die leeren Sessel in der eiskalten Luft – ein weiteres Opfer von Belaris Machtspielchen. Belari duldete keine Konkurrenz. Jetzt war sie die unangefochtene Schutzpatronin der Stadt, die weit unten im Tal funkelte.
»Du solltest dich umziehen«, drängte Nia.
Lidia drehte sich zu ihrer Zwillingsschwester um und musterte sie prüfend. Die schwarzen Augen unter den elfenhaften Lidern wirkten wie zwei abgrundtiefe Brunnenschächte. Ihre Haut war blass, aller Pigmente beraubt, und sie war dünn, was die zarte Knochenstruktur noch betonte. Das war das Einzige, was an ihnen noch echt war: ihre Knochen. Deswegen hatte sich Belari überhaupt erst für sie interessiert, damals, als Elfjährige. Gerade alt genug, damit Belari sie ihren Eltern wegnehmen konnte.
Lidias Blick glitt wieder zum Fenster. Tief in der engen Falte des Bergtals schimmerten die bernsteinfarbenen Lichter der Stadt.
»Fehlt sie dir?«, fragte Lidia.
Nia trat näher. »Was soll mir fehlen?«
Lidia wies mit einer Kopfbewegung zu dem glänzenden Juwel hinunter. »Die Stadt.«
Ihre Eltern waren Glasbläser gewesen, die der alten Handwerkskunst trotz effizienterer Massenherstellungsverfahren treu geblieben waren. Mit ihrem Atem hatten sie zartesten Arbeiten Leben eingehaucht, unter ihrer Aufsicht verflüssigte sich körniger Sand. Wie alle anderen Handwerker in der Stadt, die Töpfer, Schmiede und Maler, waren sie auf der Suche nach Protektion in Belaris Lehen gezogen. Es kam vor, dass einer der Künstler von Belaris Standesgenossen entdeckt wurde und an Einfluss gewann. Niels Kinkaid hatte durch die Gunst von Belari und ihresgleichen ein Vermögen gemacht, indem er das Eisen ihrem Willen unterworfen und ihre Festung mit seinen großen, von Hand geschmiedeten Toren und den Garten mit überall überraschend auftauchenden Figuren ausgestattet hatte: Füchse und Kinder, die im Sommer zwischen Lupinen und Ziegentod und im Winter aus Schneewehen hervorspähten. Mittlerweile war er fast schon bekannt genug, um selbst an den Aktienmarkt gehen zu können.
Lidias Eltern hatten sich Förderung erhofft, aber Belaris prüfender Blick war nicht auf ihre Kunst gefallen, sondern auf den biologischen Zufall ihrer Zwillingstöchter: beide blond, mit kornblumenblauen Augen, die unablässig den Wundern der Bergwelt innerhalb des Lehens zugewandt waren. Doch ihre Glasbläsergeschäfte florierten nun dank ihrer großzügigen Spende – ihre Kinder.
Zärtlich versetzte Nia Lidia einen Schubs und machte ein ernstes Gesicht dabei. »Beeil dich und zieh dich um. Wir dürfen nicht zu spät kommen.«
Lidia wandte sich von ihrer schwarzäugigen Schwester ab. Von ihren ursprünglichen Gesichtszügen war kaum etwas erhalten geblieben. Belari hatte sie zwei Jahre lang im Schloss heranwachsen lassen und dann mit den Tabletten begonnen. Revitia-Behandlungen mit dreizehn hatten ihre Gesichtszüge im Zustand ewiger Jugendlichkeit erstarren lassen. Dann waren die Augen hinzugekommen, die einem Zwillingspaar in einem fernen Land entnommen worden waren. Manchmal fragte sich Lidia, ob jetzt irgendwo in Indien zwei Mädchen die Welt aus Kornblumenaugen betrachteten; oder ob sie den
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