Der Spieler (German Edition)
fertig an und schob den Vorhang zur Seite.
Seine Mutter keuchte erschrocken auf. »Raphel! Dein Tuch!« Verzweifelt darum bemüht, Quaran einzuhalten, stolperte sie rückwärts.
Raphel verschwand wieder in seinem Zimmer. Dort suchte er nach dem elektrostatischen Tuch und wickelte es sich ums Gesicht. Als er wieder erschien, zeigte seine Mutter auf eine Tasse Rauchtee, die drei Meter von ihrer Feuerstelle entfernt stand. In sicherem Abstand. Raphel umrundete die Feuerstelle und hockte sich mit seinem Tee auf den Boden. Daneben fand er eine Schüssel mit abgekühltem Bohnenbrei. Auch die Kohlestücke schwammen bereits schwarz und kalt im grauen Wasser eines Eimers.
»Wie lange bist du schon wach?«, fragte er.
»Seit Stunden. Du hast lange geschlafen. Du musst sehr müde gewesen sein.«
Seine Mutter fing an, den Boden mit einem Strohbesen zu fegen, und dabei achtete sie stets darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen. Raphel beobachtete sie beim Saubermachen. Weitere neun Tage in ritueller Isolation lagen vor ihm.
Nachdem sein Großvater über Keli hergefallen war, hatten er und seine Armee am Dorfrand gelagert, um Quaran einzuhalten. Nur ihre Lieder, die von Blut und Feuer kündeten, wurden ins Dorf hineingetragen; sie selbst hatten den Ort erst nach den vorgeschriebenen zehn Tagen betreten. Die Jai hielten sich an die alten Bräuche. Wie hatte er überhaupt nur in Betracht ziehen können, dass der alte Mann ihn mit offenen Armen empfangen würde?
Seine Mutter fegte den Staub aus der Tür und wandte sich dann zu ihm um. Unsicher schnalzte sie wieder mit der Zunge. »Es gibt da ein Mädchen, das ich dir gerne vorstellen würde«, sagte sie schließlich. »Sie stammt aus einer guten Familie.«
Lächelnd nippte Raphel an seinem Tee. »Bist du etwa schon auf Brautschau?«
»Das Mädchen besucht Bia’Hardez. Ihre Tante. Sie ist ein gutes Jai-Mädchen.«
»Zu welchem Zweck? Ich werde noch über eine Woche Quaran einhalten müssen.«
»Mala wird zu ihrer Familie nach Kettle Rock zurückfahren. Um sie zu treffen, müsstest du also dorthin reisen und dann Quaran einhalten, weil du in einem fremden Dorf bist. Mala ist bereit. Sie wird dich draußen treffen, mit reinem Sonnenlicht zwischen euch.«
Raphel musste ein Lächeln unterdrücken. »Du brichst mit den Traditionen?«
»Es kann nicht schaden, sich bei Sonnenschein zu begegnen. Sie hat keine Angst vor dir. Du bist von Keli hierher gereist. Wenn du jetzt noch nicht tot bist, dann wirst du auch nicht mehr sterben.«
»Großvater wäre damit nicht einverstanden.«
»Ein Skorpion, den man nicht aufschreckt, wird niemanden stechen.«
»Und dabei warst du immer eine so korrekte Jai-Dame.«
Seine Mutter schnalzte erneut. »Mein Hakenmesser ist immer noch scharf.« Sie deutete auf seinen ausgetrunkenen Tee. »Wirf den Becher weg und achte darauf, dass er in sauberem Sonnenschein zerbricht. Jetzt kann ihn niemand mehr benutzen.«
»Aus einem Stein wird kein Kissen, und die Keli werden niemals Freunde sein.«
Jai-Sprichwort. Festgehalten in CS 1404, Pascho Eduard.
(Wiedergefundenes Dokument, Dry Basin Gegend, XI 333)
Am fünften Tag seines Quaran traf Raphel seine potenzielle Partnerin am Dorfrand, getrennt durch zwei Meter steriles Licht. Malas schwarze Ringellocken glänzten in der hellen Sonne, und die Augen hatte sie sich schwarz geschminkt, so wie die Mädchen in Keli es gerne taten. Malas Rock und Bluse waren in den traditionellen Jai-Farben gemustert – schwarze und rote, miteinander verwobene Rauten, mit Goldfäden durchzogen. Ihre nackten Arme luden einen Mann dazu ein, ihr die Hochzeitsbänder anzulegen und sie in Blau zu hüllen.
Außer Hörweite, aber nahe genug, um alles mitansehen zu können, saßen Raphels Mutter und Bia’Hardez auf der gelben Ebene. Zwei blaue, bauschige Matronen. Raphel dachte daran zurück, wie er die Ruinen erkundet hatte, in denen Falken brüteten und Kojoten selbstgefällig über Alleen trotteten, die doppelt so breit waren wie Kelis größte Prachtstraßen. Auch daran, wie er in der untergegangenen Stadt Patronenhülsen gesammelt hatte, erinnerte er sich – Trophäen der sich grauenhaft hinziehenden Kriege, die alles zerstört hatten.
Ein böiger Wind ging. Die beiden Anstandsdamen wickelten ihre blauen Röcke fester um sich. Mala zog sich das elektrostatische Tuch vom Gesicht. Aus Keli, wie Raphel bemerkte. Zwar hatte man in den Stoff ein Jai-Muster eingewebt, aber das Solarladegerät stammte unverkennbar von
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