Der Spieler (German Edition)
Klipper Haie und Krabben anlocken.
Er hätte es wissen müssen. Er hätte voraussehen müssen, was die blutrünstigen kleinen Sekten und der sich zuspitzende Nationalismus anrichten würden. Genauso wie der Mann, dem er vor zwei Monaten gefolgt war, hätte wissen müssen, dass feine Kleider keinen Schutz darstellen. Ein Mann in guten Kleidern – ein Yellow Card obendrein – hätte wissen müssen, dass er nur blutige Beute war für einen Komodowaran. Wenigstens hatte der Trottel den Anstand besessen, nicht auf seinen teuren Zwirn zu bluten, nachdem die Weißhemden mit ihm fertig waren. Der Mann war einfach kein Überlebenskünstler gewesen. Er hatte vergessen, dass er kein wichtiger Mann mehr war.
Aber Tranh ist lernfähig. Früher musste er sich mit Gezeiten und Meeresuntiefen herumschlagen, mit Marktgesetzen und gentechnisch entstandenen Seuchen, mit Profitmaximierung und dem Drachentor. Heute lernt er vieles von den Teufelskatzen, die, fast unsichtbar, mit ihrer Umgebung verschmelzen und beim ersten Anzeichen von Gefahr die Flucht ergreifen. Er lernt von den Krähen und Milanen, die sich von Abfällen ernähren. Das sind die Tiere, denen er nacheifern muss. Er muss die Reflexe abstreifen, die er dem Tiger abgeschaut hat. Es gibt keine Tiger mehr, außer im Zoo. Ein Tiger wird stets gejagt und getötet. Aber ein kleines Tier, das sich mit Abfällen begnügt, kann manchmal die Knochen eines Tigers abnagen und sich mit dem letzten Hwang-Anzug davonstehlen, der für lange Zeit die Grenze zwischen Malaya und Thailand überqueren wird. Nachdem der ganze Hwang-Klan tot ist und ihre Muster ein Opfer der Flammen geworden sind, ist nichts mehr übrig außer Erinnerungen und Antiquitäten – und ein alter Mann, der weiß, wie wichtig und wie gefährlich es sein kann, einen gepflegten Eindruck zu machen.
Eine leere Fahrradrikscha gleitet im Leerlauf an ihm vorbei. Der Fahrer wirft Tranh einen fragenden Blick zu – auch ihm ist der Hwang-Anzug aufgefallen, der an Tranhs hagerer Gestalt flattert. Tranh hebt zögernd die Hand. Die Rikscha wird langsamer.
Ist es das Risiko wert? Seine letzten Baht so leichtfertig auszugeben?
Es gab einmal eine Zeit, da segelten ganze Klipperflotten über das Meer nach Chennai, die Frachträume voller stinkender Durianfrüchte, weil er richtig vorausgesehen hatte, dass den Indern keine Zeit geblieben war, resistente Linien von Durianbäumen zu pflanzen, bevor eine neue Mutation der Rostwelke sie heimsuchte. Es gab einmal eine Zeit, da kaufte er den Flussanwohnern schwarzen Tee und Sandelholz ab, weil er glaubte, sie im Süden losschlagen zu können. Und jetzt kann er nicht einmal mehr entscheiden, ob er gehen oder fahren soll. Wie tief er doch gefallen ist! Manchmal fragt er sich, ob er nicht längst ein hungriges Gespenst geworden ist, das zwischen den Welten festsitzt und weder in die eine noch in die andere entkommen kann.
Die Rikscha rollt langsam weiter. Der Fahrer, dessen blauer Pullover in der tropischen Sonne schimmert, wartet auf eine Entscheidung. Tranh winkt ihn weiter. Der Fahrer richtet sich in den Pedalen auf und beschleunigt; seine Sandalen klatschen ihm gegen die schwieligen Fersen.
Tranh wird von Panik erfasst. Er hebt erneut die Hand und rennt der Rikscha nach. »Warten Sie!« Aber wieder bringt er kaum mehr als ein Flüstern zustande.
Die Rikscha biegt auf die Hauptstraße ein und verschwindet zwischen Radfahrern und den gewaltigen, schwerfälligen Umrissen der Megodonten. Tranh lässt die Hand sinken. Vielleicht ist es besser, dass der Fahrer ihn nicht gehört hat, dass ihm die Entscheidung, seine letzten Baht auszugeben, von einer höheren Macht abgenommen wurde.
Um ihn herum wird das morgendliche Gedränge immer dichter. Hunderte von Kindern in Matrosenuniformen strömen durch Schultore. Mönche in safranfarbenen Gewändern schlendern im Schatten großer schwarzer Schirme einher. Ein Mann mit einem spitzen Bambushut beobachtet Tranh und flüstert seinem Freund dann etwas zu. Sie mustern ihn beide eingehend. Tranh spürt, wie er vor Angst eine Gänsehaut bekommt.
Sie sind überall, wie schon in Malakka. In Gedanken nennt er sie Ausländer, Farang . Dabei ist er hier der Ausländer. Der nicht hierher gehört. Und sie wissen das – die Frauen, die auf den Balkonen Sarongs an Leinen aufhängen, die Männer, die barfuß vor den Häusern sitzen und gezuckerten Kaffee trinken. Die Fischverkäufer und Garküchenbetreiber. Sie alle wissen es, und Tranh kann seine
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