Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Pacigalupi
Vom Netzwerk:
etwas hinterherschreit. Opfer des Malaiischen Zwischenfalls kauern in Hauseingängen, winken mit Armstümpfen und betteln jeden an, der nur ein wenig mehr hat als sie selbst. Männer sitzen geduckt auf Hockern und schauen zu, wie die Hitze immer drückender wird, während sie winzige, selbstgedrehte Zigaretten aus Gold Leaf -Tabak rauchen, den sie irgendwo aufgeklaubt haben. Frauen stehen in kleinen Gruppen beieinander und unterhalten sich, während sie nervös ihre Yellow Cards befingern und auf Weißhemden warten, die sie ihnen wieder abstempeln.
    Yellow Cards, so weit das Auge reicht: ein ganzes Volk, das aus dem großen thailändischen Königreich Malaya geflohen ist, wo es plötzlich nicht mehr willkommen war. Eine gewaltige Zusammenballung von Flüchtlingen, die der Autorität der Weißhemden des Umweltministeriums unterstellt wurden, als wären sie – wie Cibiskose, Rostwelke und der genmanipulierte Rüsselkäfer – nur eine weitere invasive Spezies, mit der es fertig zu werden gilt. Yellow Cards, gelbe Hautfarbe. Huang ren , wohin man schaut, und Tranh kommt zu spät zu der einzigen Gelegenheit, sich über dieses Gewimmel zu erheben. Der ersten Gelegenheit in all seinen Monaten als chinesischer Yellow-Card-Flüchtling. Er drängt sich an der verführerisch duftenden Garküche eines Rattenverkäufers vorbei, schluckt einen Batzen Speichel hinunter, eilt eine Gasse entlang zu der Wasserpumpe. Und bleibt wie angewurzelt stehen.
    Zehn Leute stehen vor ihm in der Schlange: alte Männer, junge Frauen, Mütter, Kinder.
    Er lässt die Schultern hängen. Am liebsten würde er toben vor Wut! Wenn er dafür die Kraft hätte. Wenn er gestern genug gegessen hätte, gestern oder vorgestern oder wenigstens den Tag davor. Am liebsten würde er seinen Hanfbeutel auf die Straße schleudern und darauf herumtrampeln, aber ihm fehlen schlicht die Kalorien. Wieder hat er eine Chance verspielt, und das nur, weil er nicht schnell genug die Treppe hinuntergekommen ist. Er hätte dem Kadaverkönig seine letzten Baht geben und eine Liegefläche in einer Wohnung mieten sollen, die ein Fenster nach Osten hat, dann hätte er die Sonne aufgehen sehen und wäre früh genug wach geworden!
    Aber er ist knauserig gewesen und hat am falschen Ende gespart. Wie oft hat er seinen Söhnen gesagt, dass es durchaus zulässig ist, Geld auszugeben, um mehr Geld zu verdienen? Aber der ängstliche Yellow-Card-Flüchtling, zu dem er geworden war, hat seine Baht sparen wollen. Wie ein ignoranter Bauer hat er sein Geld fest an sich gedrückt und in einem stockdunklen Treppenhaus geschlafen. Er hätte wie ein Tiger ausharren und der nächtlichen Ausgangssperre und den Weißhemden des Ministeriums mit ihren schwarzen Schlagstöcken trotzen sollen ... Und jetzt kommt er zu spät und stinkt nach Treppenhaus und steht hinter zehn anderen, die alle das braune Wasser des Chao Phraya trinken, ihre Eimer füllen und sich die Zähne putzen müssen.
    Es gab einmal eine Zeit, da verlangte er von seinen Angestellten, seiner Frau, seinen Söhnen und seinen Konkubinen, dass sie pünktlich waren, aber damals besaß er auch eine Spannfederarmbanduhr und konnte beobachten, wie die Minuten und Stunden stetig verstrichen. Von Zeit zu Zeit zog er die winzige Feder darin auf, lauschte ihrem Ticken und schlug seine Söhne, weil sie faul waren. Und jetzt ist er alt und langsam und dumm geworden, sonst hätte er das vorausgesehen. Genauso wie er die zunehmende Militanz der Grünen Brigaden hätte voraussehen müssen. Wann hatte sein Verstand so nachgelassen?
    Nacheinander beenden die anderen Flüchtlinge ihre Waschungen. Eine Mutter mit großen Lücken zwischen den Zähnen und fa’ gan -Wucherungen hinter den Ohren füllt ihren Eimer auf, und Tranh macht einen Schritt vorwärts.
    Er hat keinen Eimer, nur seinen Beutel. Seinen kostbaren Beutel. Er hängt ihn neben die Pumpe und wickelt sich seinen Sarong enger um die hageren Hüften, bevor er unter dem Pumpenkopf in die Hocke geht. Mit einem dürren Arm zieht er am Schwengel. Eine braune Brühe ergießt sich über ihn, der Segen des Flusses. Seine Haut hängt ihm in schlaffen Falten an den Knochen – fast ist das Gewicht des Wassers zu viel für ihn. Er öffnet den Mund und trinkt es, reibt sich mit einem Fingern über die Zähne und fragt sich, was für Kleinstlebewesen er wohl schlucken mag. Aber das spielt keine Rolle. Er vertraut auf sein Glück. Es ist alles, was er hat.
    Kinder schauen zu, wie er seinen alten Leib badet,

Weitere Kostenlose Bücher