Der Spieler (German Edition)
Verabredung?«
Tranh geht zielstrebig los und versucht, keine Miene zu verziehen, als er sich an dem fetten Ma vorbeidrängt.
»Wohin des Weges, Herr Großkotz?«, ruft Ma ihm lachend nach. »Gebieter über die ›Drei Reichtümer‹! Gibt es nicht irgendwelche Weisheiten, die Sie gerne mit uns teilen möchten?«
Gesichter wenden sich ihnen zu: hungrige Yellow Cards, so weit das Auge reicht, und alle starren sie ihn an. Männer, Frauen und Kinder, die den Zwischenfall überlebt haben. Die ihn jetzt erkennen. Für die er fast so etwas wie eine Legende ist. Er hat nur andere Kleider anziehen müssen, und schon ist er dem Vergessen entrissen. Ihre Spottrufe prasseln auf ihn ein wie ein Regenguss.
» Wei! Gebieter über die ›Drei Reichtümer‹! Schickes Hemd!«
»Sie haben doch bestimmt eine Zigarette für uns, Herr Großkotz!«
»Wohin so eilig in den feinen Klamotten?«
»Wollen Sie heiraten?«
»Ihre zehnte Frau?«
»Haben Sie Arbeit?«
»Herr Großkotz! Haben Sie Arbeit für mich?«
»Wohin des Weges? Vielleicht sollten wir dem alten Großunternehmer folgen!«
Tranh richten sich die Nackenhaare auf. Er schüttelt seine Furcht ab. Selbst wenn sie ihm folgen, werden sie zu spät kommen. Zum ersten Mal seit einem halben Jahr ist der Vorteil von Können und Wissen auf seiner Seite.
Jetzt ist alles nur eine Frage der Zeit.
Er läuft durch das morgendliche Gedränge von Bangkok, vorbei an Fahrrädern und Rikschas und Spannfederrollern. Der Schweiß bricht ihm aus. Sein Hemd ist schon ganz nass, und sogar seine Jacke ist feucht. Er zieht sie aus und legt sie sich über den Arm. Das graue Haar klebt an seinem von Leberflecken übersäten Eierkopf. Immer wieder bleibt er stehen, um nach Luft zu schnappen. Ihm tun die Beine weh, und das Herz hämmert in seiner Brust.
Er sollte seine Baht für eine Fahrradrikscha ausgeben, aber er kann sich nicht dazu überwinden. Er ist spät dran. Vielleicht sogar zu spät? Und dann wird er die Baht verschwendet haben und heute Abend verhungern. Andererseits, wozu taugt ein guter Anzug, wenn er völlig durchgeschwitzt ist?
Kleider machen Leute, hat er seinen Söhnen immer eingebläut, der erste Eindruck ist entscheidend. Ein guter Start bedeutet einen Vorsprung. Natürlich kann man jemanden auch mit seinem Können und seinem Wissen überzeugen, aber meistens verlassen sich die Menschen auf ihren Instinkt. Und deshalb muss man gut aussehen und gut riechen. Ist derjenige, von dem du etwas willst, dir erst einmal wohlgesonnen, kannst du dein Anliegen vorbringen.
Hat er nicht deshalb seinen zweiten Sohn geschlagen, als dieser mit der Tätowierung eines roten Tigers auf der Schulter nach Hause kam? Als wäre er ein Kaloriengangster! Hat er nicht deshalb einen Zahnarzt bezahlt, der sogar die Zähne seiner Töchter mit Bambus- und Gummi-Spangen aus Singapur richtete, damit sie kerzengerade waren?
Und haben die Grünen Brigaden in Malaya uns Chinesen nicht genau deshalb gehasst? Weil wir so gut aussahen? Weil wir so reich aussahen? Weil wir uns auszudrücken wussten und jeden Tag hart arbeiteten, während sie faul herumhingen?
Tranh schaut den Spannfederrollern nach, die an ihm vorbeisausen. Sie sind sämtlich von Thai-Chinesen hergestellt. Wirklich clever, diese Flitzer – eine Spannfeder, die ein Megajoule aufnimmt, ein Schwungrad, Pedale und Reibungsbremsen, damit keine kinetische Energie verloren geht. Alle Fabriken gehören zu hundert Prozent den Chaozhou-Chinesen. Und trotzdem fließt kein Blut in den Rinnsteinen dieses Landes! Die Chaozhou-Chinesen sind beliebt, obwohl sie als Farang in das Königreich Thailand gekommen sind.
Wenn wir uns in Malaya so angepasst hätten wie die Chaozhou hier, wäre dann alles anders gekommen?
Angesichts dieser Vorstellung schüttelt Tranh den Kopf. Unmöglich! Sein Klan hätte zum Islam konvertieren und alle seine Vorfahren in der Unterwelt verraten müssen. Einfach unmöglich! Vielleicht war es das Karma seines Volkes unterzugehen, nach einer kurzen Blüte in den Städten Penang und Malakka zu sterben.
Kleider machen Leute. Oder töten sie. Tranh begreift erst jetzt, was das bedeutet. Ein weißer, maßgeschneiderter Anzug von den Brüdern Hwang macht einen zur Zielscheibe. Eine antike Golduhr am Handgelenk ist ein Köder. Tranh fragt sich, ob die makellosen Zähne seiner Söhne noch immer in der Asche des Lagerhauses der ›Drei Reichtümer‹ begraben liegen, ob ihre herrlichen Uhren jetzt in den Frachträumen ihrer versenkten
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