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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Emberland
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Wange an meiner ließen mich hilflos losstottern. »Ich, ich …«
    »Du musst mein Verhalten von neulich wirklich entschuldigen«, sagte sie jetzt. »Ich kann manchmal einfach gemein sein. Und dann bei einem so netten jungen Mann wie dir. Aber es war nur Verlegenheit, sonst nichts. Wie dumm von mir, die Begegnung mit dem Menschen zu ruinieren, der Lennart am wichtigsten war.«
    Ich versuchte fieberhaft, etwas Sinnvolles zu sagen. Dann kamen Mutter und Oskar auf uns zu.
    »Und wer ist die junge Dame, Erik?«, fragte Mutter.
    »Kiss … ich meine, Kristin Lorentsen, Lennarts Verlobte«, antwortete ich.
    »Dann muss ich Ihnen mein herzlichstes Beileid aussprechen dürfen.«
    Mutter drehte sich zu Oskar um, der einige Schritte hinter ihr stand. »Ich wusste gar nicht, dass Lennart verlobt war.« Da war sie nicht die Einzige.
    Oskar schwieg einige Sekunden, dann ging er zu Kiss. »Oskar Winther«, sagte er und hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Lennarts Vater.«

TEIL II
     
    Wie viel mehr sich doch die jungen Damen der Gegenwart durch Linienreinheit (sicher auch Reinheit) auszeichnen als Rubens’ Modelle: »Seine Weiber sind niemals Jungfrauen, ja nicht einmal Mütter, sondern fette rosige Fleischstücke mit exemplarischen Becken, Busen und Hintern, nur dazu da, um nach wildem Brunstkampf, der den Genuß nur erhöht, aufs Bett geschmissen zu werden.« Das sagt Friedeil in »Kulturgeschichte der Neuzeit«. Vielleicht wird dieses Zitat dazu beitragen, dass auch die Hüter der Moral Friedell lesen. So werden sie einige Feststellungen machen. Zuallererst, dass unsere jungen Frauen bei Weitem vorzuziehen sind, sie sind nicht mit solch einer sinnesbetäubenden Fleischlichkeit ausgestattet, nur selten schweifen sie in die Ferne, und haben sie ein kleines Hinterteil, so ist dies von großem Vorteil.
     
    Georg Svendsen, 1934
     
    Der Wermutspakt
     
    Nach dem Begräbnis verspürte ich wenig Lust, dem Leichenschmaus beizuwohnen, den das Ensemble im Theater arrangierte. Oskar Winther empfand offenbar ebenso. Arm in Arm mit meiner Mutter trottete er langsam nach Hause. Wenn ich sie recht kannte, würde er in der Arendalsgate mit Kaffee, Likör und Spitzbuben-Keksen bewirtet werden.
    Ich blieb zögernd am Ausgang zum Kirkevei stehen, als Kiss sich von der Gruppe der Schauspieler losriss und zu mir herüberkam.
    »Ach Gott, wie unangenehm, Lennarts Vater auf diese Weise kennenzulernen«, sagte sie.
    Im Grunde war ich von Oskars Unwissenheit nicht sonderlich überrascht. Er und Lennart hatten sich in den letzten Jahren ziemlich entfremdet. Der alte Arbeiterheld mochte es gar nicht, dass sein Sohn die Bewegung für eine Karriere in leichtlebigen Lustspielen aufgegeben hatte.
    »Ihr habt eure Verlobung demnach gar nicht bekannt gegeben?«, fragte ich.
    »Nein, Lennart wollte warten. Nur ein paar enge Bekannte am Theater haben davon erfahren. Und du, selbstverständlich …«
    Eine Pause entstand, dann packte sie plötzlich meinen Arm. »Weißt du was … Wollen wir nicht eine kleine Begräbnisfeier ganz für uns alleine abhalten? Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast.«
    Unter ihrer Hutkrempe blickte sie mich flehend an, ihr Parfüm kitzelte in meiner Nase. Ein Nein war ausgeschlossen.
    Wir bekamen einen Fenstertisch im Theatercafe und setzten uns. Gleich daraufkam ein Kellner.
    »Was trinkst du gerne?«, fragte ich Kiss.
    Sie lehnte sich über den Tisch.
    »Da gibt es einiges: Champagner, wenn ich glücklich bin, Rotwein, wenn ich melancholisch bin, Cognac zum Kaffee und trockenen Muscadet zu rohen Miesmuscheln.«
    »Rohe Miesmuscheln? Sowas isst doch wohl kein Mensch!«
    Sie sah mich schelmisch an. »Da entgeht dir aber was. Miesmuscheln sind nämlich ein ziemlich effektives Aphrodisiakum. Frag mal die Leute, die im Restaurant Luther und Wegener verkehren.«
    Errötend blickte ich den Kellner an. »Ich glaube, wir nehmen zwei Wermut.«
    Nachdem wir die Getränke bekommen hatten, blickte Kiss zum Fenster hinaus. Ich versuchte ein Gesprächsthema zu finden, wurde angesichts meiner Unschlüssigkeit jedoch nur umso mehr irritiert und verlegen. Fräulein Lorenz war schlicht und einfach eine Nummer zu groß für mich. Obwohl ihre Trauer sie jetzt menschlicher gemacht hatte, war die Distanz zwischen uns unüberbrückbar. Denn die Trauer ließ Kiss jetzt auch viel schöner wirken als je zuvor. Es gelang mir nicht, meinen Blick von ihr abzuwenden. Das kleine, unglückliche Gesicht schrie förmlich danach, getröstet zu werden - doch was

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