Der Spion der Fugger Historischer Roman
von Ost auf Nord-Nordost korrigierte. Sie würden also jetzt, wenn Sachs sich richtig an die Seekarten erinnerte, in die Meeresstraße zwischen den Inseln Kuba und Hispaniola einfahren.
Und sein Schicksal würde sich bald entscheiden.
Es war immer noch eine klare Nacht. Doch Amman Sachs wunderte sich einmal mehr über die Milde der Luft. Es war dunkel, und sie waren auf See, und doch verströmte die Luft wohlige Wärme. Sachs vermutete, dass es mit der Wärme des Wassers zusammenhing. Während der Zeit auf Pedro’s Pinnacles hatte er oft die Füße im Meerwasser gebadet oder sich darin gewaschen, und es hatte sich angefühlt wie das warme Wasser eines Badehauses, wie es sie in vielen Städten der Alten Welt gab. Aber dort musste das Wasser mühsam über Feuer erwärmt werden, bis es so warm war wie hier das ganze Meer.
Sachs musste noch einmal über sein Gespräch mit Francis Walsingham nachdenken, der inzwischen wohl wieder in seiner Koje lag. Walsingham hatte gesagt, dass England den Krieg mit Spanien suchen wollte. Noch vor kurzer Zeit hätte Sachs erwidert, dass kein Königreich es sich erlauben konnte, einen Krieg mit Spanien zu führen. Spanien schien so groß und mächtig, seine Möglichkeiten schier grenzenlos. Doch Sachs hatte in den letzten Wochen und Monaten erkennen müssen, dass Größe auch anfällig macht gegen die Angriffe jener, die kleiner, flinker und ideenreicher waren.
So wie England. Ein Francis Drake allein konnte sicher nichts gegen eine Übermacht wie Spanien ausrichten, doch viele Drakes auf vielen Schiffen würden das Kräfteverhältnis gewaltig verändern. Viele Hunde sind bekanntlich des Hasen Tod. Und die Engländer waren sehr gute Seeleute. Sachs fragte sich, ob man in Tomar, der geheimen Schule der spanischen und portugiesischen Seefahrer, ahnte, wie gut die konkurrierenden Engländer schon auf dem Gebiet der Nautik waren.
Mit einem Mal hatte Sachs das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Instinktiv blickte er zum Deck des Achterkastells und erkannte im Sternenlicht das ebenmäßige Gesicht Tecuichpos. Sie schaute mit ihren großen, schönen Augen zu ihm herunter. Sachs erschrak und freute sich zugleich, dass er ihren Blick gefühlt hatte. Wie lange mochte sie schon da stehen? Hatte sie etwas von seinem Gespräch mit dem Engländer vorhin mitbekommen?
Doch Sachs vertrieb diesen Gedanken. Stattdessen spürte er Wärme in sich aufsteigen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass die schöne Mexikanerin ihn nicht mit ihrem stets so stolzen und beherrschten Blick anschaute, sondern mit einem sanften und liebevollen Ausdruck, der allein ihm galt. Er spürte wachsendes Verlangen, als er die stumme Verheißung in den schwarzen, geheimnisvollen Augen sah.
Erst zögernd und besorgt, er könne einem Trugbild seiner Sehnsucht erlegen sein, betrat Sachs den Aufgang zum Achterdeck. Tecuichpo verfolgte mit ihren Blicken jede seiner Bewegungen. Sie wich nun katzenhaft vor ihm zurück, blieb dabei aber lockend und zeigte nicht die geringste Furcht.
Amman Sachs hatte nun den oberen Absatz des Aufgangs erreicht. Er sah sich um, ob jemand ihn beobachtete. Doch der Rudergänger lotete gerade wieder die Geschwindigkeit des Schiffes und schaute obendrein nach Steuerbord. Der Mann im Großmast wurde durch das obere Segel am Besanmast verdeckt.
Tecuichpo war jetzt über dem Heckspiegel der
Aviso
angekommen,wo Sachs den gewaltigen Orkan erlebt hatte. Für einen Augenblick hielten beide inne.
»Hast du mich gerufen?«, fragte er.
»Mein ganzes Leben lang«, antwortete sie.
Sachs sah das Sternlicht in ihren feuchten Augen glitzern.
»Was macht dich so traurig?«, wollte er wissen.
Sie wand für einen Moment das Gesicht ab, ehe sie erwiderte: »Ich war einem Mann versprochen, der die Hoffnung meines Volkes verkörperte. Damit war auch ich diese Hoffnung – die Zukunft Mexikos. Doch ich habe meinen Bräutigam verloren. Ich weiß nicht mehr von ihm, als dass er verloren ist. Und mit ihm verschwand alle Hoffnung, jeder Stolz und jede Zukunft, die uns mit deinem Volk hätte versöhnen können. Es ist schrecklich, nicht zu wissen, was aus ihm wurde. Was, wenn er doch noch lebt? Und mein Versprechen weiterhin gilt?«
Amman Sachs überlegte, ob er Tecuichpo von Drakes Bericht über die Eroberung der
Flor de la Mar
und den Kampf ihres Bräutigams erzählen sollte. Doch er sagte nur: »Ich weiß, wer unsere Galeone vernichtet hat. Und ich weiß, dass sie dem Sohn Montezumas nichts anhaben konnten. Er
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