Der Spion der Fugger Historischer Roman
Säulendurchlässe und betrat den Umgang, der das Allerheiligste umschloss und von dem aus man die Engelsbilder mit den Reliquiendarstellungen sehen konnte. Der König schaute hoch und besah sich offenbar eines der rückwärtig angebrachten Engelbilder.
»Kann Er genau beschreiben, wo die Goldgaleone untergegangen ist? So genau, dass man es verlässlich in eine Karte eintragen könnte? Dass man die Stelle vielleicht sogar wiederfinden könnte?«
Sachs ging näher an den König heran, wobei er ebenfalls das Allerheiligste verließ und in den Umgang trat. Seine Blicke folgten denen Philipps, und er schaute ebenfalls nach oben – auf ein weiteres Engelbild. Der dargestellte Engel trug ein vollkommen ebenmäßiges, dunkles Paket in den Händen. Was Amman Sachs aber viel nachdenklicher machte, war die freie Stelle unterhalb des Engelbildnisses, die noch nicht bemalt worden war. Bei den anderen Engelbildern waren dem Fugger-Agenten an den entsprechenden Stellen die goldenen Ornamente aufgefallen, die die Form der Engelsflügel des Astrolabiums besessen hatten; hier aber war nichts zu sehen.
»Komme Er mit!«, rief plötzlich der König aus und verschwand auch schon quer durch die Charola aus dem Altarraum und wandte sich nach rechts durch eine Tür, die dem Portal gegenüberlag, durch das Sachs und der Kanzler vorhin die Kirche betreten hatte. Der Schweizer beeilte sich, mit Philipp Schritt zu halten. Escobar folgte den beiden Männern.
Der König lief einen schmalen Durchgang entlang und dann nach links in einen prächtig ausgestatteten Saal, der ihm offenbar als Arbeitszimmer diente. Zwei Schreibpulte standen mitten im Raum; an einer der Längsseiten war ein großer, massiver Tisch aufgestellt, der über und über mit Papieren, Dokumenten und kunstvollen Landkarten belegt war, wie Sachs erkannte. Der König durchsuchte nun den Stapel und zog schließlich eine große, aus vielen Einzelblättern zusammengesetzte Karte hervor. Sie war groß wie eine Tür.
Amman Sachs entzifferte am Rand dieser Karte die Worte: »Nova et aucta orbis terræ descriptio ad usum navigantium emendate accomodata« (»Neue und vergrößerte Erdkarte, zum Gebrauch für Seefahrer verbessert und eingerichtet.«) sowie den Namen eines bekannten Ketzers: Gerardus Mercator. Auch das war ungewöhnlich an einem Ort wie diesem: Mercator war Flame, ein Protestant noch dazu. Er war schon vor vielen Jahren, wie Amman Sachs nur zu gut wusste, aus den Spanischen Niederlanden geflüchtet, nachdem er auf päpstliches Geheiß wegen »Lutherei«, der Verbreitung der lutherischen Lehren, gefangen gesetzt worden war. Und nun entdeckte der Fugger-Agent ausgerechnet im Arbeitszimmer des mächtigsten katholischen Herrschers die Hauptarbeit dieses Kartographen. Amman Sachs konnte nicht aufhören, sich zu wundern.
»Zeige Er mir die Stelle, wo Drake die
Flor de la Mar
überfallen hat!«, befahl der König schließlich, nachdem er die Karte glatt gestrichen hatte. Amman Sachs hatte schon einiges von der neuesten und größten Mercator-Karte gehört, hatte dieses gewaltige Kunstwerk aber noch nie mit eigenen Augen gesehen. Das Besondere an dieser Arbeit war eine außergewöhnliche perspektivische Bearbeitung der eingezeichneten Landmassen. Mercator hatte es unbestritten als Erster geschafft, den runden Weltenglobus in der Ebene einer flachen Karte darzustellen.
Doch für Amman Sachs waren die Dimensionen und Proportionen der dargestellten Landmassen sehr gewöhnungsbedürftig. Schließlich fand er aber die eingezeichnete Inselgruppe der Azoren und konnte ungefähr angeben, wo die Trümmer der Goldgaleone entdeckt worden waren. »Drake will die Galeone eine Tagesreise östlich und zwei Strich südlich vom eigentlichen Kurs aufgebracht haben«, erläuterte er.
Der König nahm eine Schreibfeder aus einem bereitstehenden Tintenfass und markierte die Stelle mit einem Kreuz. Dann schien er eine neue Idee zu haben und fragte wie nebenbei, als wäre es ein nur zweitrangiges Detail: »Weiß sonst noch jemand von dieser letzten Position der Flor der la Mar? Außer Ihm, uns und diesem Drake?«
Sachs kam die Beiläufigkeit dieser Frage zu gekünstelt vor; und sie passte so gar nicht zu der Vehemenz, mit der der König vorhin das Bündel beschrieben hatte, das an dieser Stelle zusammen mit der Galeone im Meer versunken sein sollte. Der Fugger-Agent vermutete daher eine Fangfrage. Und seine Besorgnis bezog sich nicht nur auf Tecuichpo, der er ja ebenfalls von Drakes Bericht
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