Der Spion der Fugger Historischer Roman
Ausgleichkurven dazu, die ungleichen Stunden eines Tages in gleiche Stunden umzurechnen. Wozu aber mochten diese Kurven hier dienen?
»Meister Hohensax?«
Alfonso de Escobar war bereits durch einen Durchgang zwischen den Steinsäulen ins Innere der Charola eingetreten, ins Allerheiligste. Erst jetzt erkannte der Fugger-Agent, dass dort König Philipp war: In tiefem Gebet versunken kniete der Monarch auf dem Boden.
Sachs war unschlüssig, ob er die Andacht des Königs stören durfte. Aber der Kanzler winkte ihn eindringlich heran, und so trat Amman Sachs ins Zentrum des runden Kirchenraums.
Wieder war er wie geblendet von der über und über mit Gold verzierten Ausstattung. Verborgen vor den Blicken aller, die nicht dieses Allerheiligste betreten durften, gab es hier Reliquienschreine, die allerdings geschlossen waren, sodass Sachs nicht sagen konnte, was sie enthielten. Wieder gab es hier eine Vielzahl der angedeuteten Globen, die das Symbol des portugiesischen Königtums darstellten. Dazu zahllose goldene Spitzen und Schleifen.
In den Ecken der Charola standen auf Emporen realistische, lebensgroße Figuren, die teils Mönche, teils – zum maßlosen Erstaunen des Fugger-Agenten – Orientalen zeigten: Er sah dort tatsächlich einen leibhaftigen Pascha, mit kunstvoll ziseliertem Bart, wie die Perser ihn trugen, und einem prächtigen Turban. Und dies in einer christlichen Kirche – einer Ordenskirche, in der der katholischste aller Fürsten gerade sein Mittagsgebet sprach!
Als hätte er Sachs’ gedachte Fragen gehört, richtete der König sich jetzt aus seiner knienden Haltung auf und sagte zum Fugger-Agenten: »Huldigten nicht auch die Weisen aus dem Morgenland dem Christuskind? So mögen sie auch in einer Kirche wie dieser seinem ewigen Andenken Genüge tun! Was bringt Er uns für Antworten auf die Frage, mit denen wir Ihn auf seine Reise entsandt haben?«
Amman Sachs wusste zuerst nicht, was er sagen sollte, zu plötzlich war der Übergang von stiller Andacht zum strengen Verhör. Dann aber fasste er sich und berichtete dem Monarchen in kurzen, präzisen Worten, was er vom Engländer Francis Drake über das Komplott erfahren hatte, das zum Untergang der Goldgaleone geführt hatte – und zur Herausgabe der neuen englischen Rosenobel.
Als Sachs seinen Bericht beendet hatte, herrschte Totenstille in der alten Templerkirche. König Philipp kämpfte sichtlich damit, nicht vor hochkochender Wut die Beherrschung zu verlieren. Der Fugger-Agent mochte sich gar nicht ausmalen, was es bedeutete, wenn man Phillips Zorn zu spüren bekam.
Schließlich aber fasste der Monarch sich wieder. »Was meint Er, wer in den Reihen Seines Prinzipals die Verantwortung für diese schändliche Vereinbarung mit den Engländern trägt?«
Amman Sachs hatte viel über diese Frage nachgedacht, doch eine gute Antwort hatte er immer noch nicht gefunden – außer, dass er der Fugger-Familie eine solche Tat nicht zutraute. Aber wer konnte schon sagen, was Habgier und Geltungssucht aus einem sonst ehrbaren Menschen machen konnten?
Einer spontanen Idee folgend, sagte er: »Wie Ihr wisst, Hoheit, wurde die Mission der Flor der la Mar von Euch, Eurem Cancellarius Alfonso de Escobar, meinem Hauptfaktor Kasper Peutinger und dem Fugger-Regierer Martin Fugger festgelegt. Doch von der genauen Passage, die die Goldgaleone über das Meer nehmen sollte, wussten nur der Kapitän des Schiffes, Hauptfaktor Peutinger und ich.«
Sachs schluckte, als ihm bewusst wurde, dass er gerade dabei war, sich selbst zu belasten. Doch er fuhr fort: »Der Kapitän ist nach allem, was wir wissen, mit seinem Schiff untergegangen. Ich bin hier bei Euch, um Rechenschaft abzulegen. Bleibt nur . . .« Den zwangsläufigen Verdacht brauchte er nicht auszusprechen.
Der König schien zu überdenken, was er gehört hatte. Er begann auf und ab zu gehen, als er das Gespräch schließlich fortsetzte: »Wir könnten alle überlebenden Mitwisser ersäufen lassen wie den armen Kapitän, um sicher zu gehen, dass alle Schuldigen auf jeden Fall dabei wären . . .«
Amman Sachs schluckte schwer.
»Aber dann würden wir als noch grausamer gelten als ohnehin schon.« Der Monarch unterbrach seine unruhige Wanderung. »Klären wir das später. Wie ist es mit dieser Galeone? Er sagte bei Seinem Bericht, dieser El Draque hätten nur das Gold genommen – sonst so gut wie nichts. Ist das sicher?«
Wieder dieses seltsame Nachhaken, dass auch wirklich
alles
von der Goldgaleone verschwunden
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