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Der Spion der mich liebte

Titel: Der Spion der mich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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still. Ich trat ein paar Schritte von der erleuchteten Tür weg, hinaus auf die staubige Straße, und blickte nach Norden. Die bläulich-weißen Finger eines Blitzes zuckten über den Himmel. Sekunden später grollte der Donner wie ein aus dem Schlaf gerissener Wachhund, und dann begann der Sturm. Die Wipfel der Bäume begannen sich zu wiegen, sie seufzten und ächzten, und die gelbe Laterne über der Tankstelle tanzte auf und ab, warf ihren hellen Schein auf die Straße, als wollte sie mich warnen. Ja, sie warnte mich wirklich. Plötzlich verwischte sich der Schimmer im niederprasselnden Regen, trübte sich hinter dem grauen Schleier herabströmenden Wassers. Die ersten schweren Tropfen trafen mich. Ich drehte mich um und rannte zum Haus.
    Hinter mir schlug ich die Türe zu, drehte den Schlüssel und legte die Kette vor. Ich hatte es gerade noch geschafft. Dann öffneten sich die Schleusen, in eintönigem Rauschen strömte der Regen herab, trommelte dumpf auf das Holzdach, peitschte klatschend gegen die Fensterscheiben. Ich stand noch immer an der Tür und lauschte im Gefühl behaglicher Sicherheit, als ein blendender Blitz den Raum erhellte, unmittelbar gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen, das das Gebäude erzittern ließ. Ein gellendes Pfeifen durchschnitt die Luft. Es war nur eine einzige ungeheure Detonation, wie die einer Bombe, die in einer Entfernung von wenigen Metern gefallen ist. Es klirrte, als Glasscherben eines Fensters zu Boden schepperten. Dann prasselten Regentropfen auf das Linoleum.
    Ich rührte mich nicht. Ich konnte nicht. Ich stand reglos, die Hände an die Ohren gepreßt. Das hatte ich nicht erwartet. Die betäubende Stille löste sich wieder in das Rauschen des Regens, das jetzt zu sagen schien: Du hast nicht damit gerechnet, daß es so schlimm werden könnte. Du hast nie in diesem Gebirge ein Gewitter miterlebt. Eigentlich ein recht wackeliges, armseliges Dach, das du da über dem Kopf hast. Du bist gern allein, hast du behauptet. Na, wie gefällt dir das hier? Wieder wurde der Raum in blau-weißes Licht getaucht, wieder krachte unmittelbar über mir der Donner. Doch diesmal hielt das Krachen an, knatternd in einer wütenden Kanonade, unter deren Heftigkeit Tassen und Gläser hinter der Bartheke klirrend hin- und herrutschten und die Holzwände unter dem Druck der Schallwellen stöhnten.
    Meine Knie zitterten. Ich torkelte zum nächsten Stuhl und setzte mich, den Kopf in die Hände vergraben. Wie hatte ich so töricht sein können, so - so herausfordernd? Wenn nur jemand käme, jemand, der bei mir bliebe, jemand, der mir versichern würde, daß es ja nur ein heftiges Gewitter sei. Aber das stimmte nicht! Es war die Katastrophe, das Ende der Welt. Und es galt mir! Jetzt! Ich mußte etwas unternehmen, Hilfe holen! Doch die Phanceys hatten den Anschluß bereits sperren lassen. Es gab nur noch eine Hoffnung. Ich sprang auf und rannte zur Tür. Meine Hand griff nach dem Schalter, mit dem sich das rote Neonschild mit den Worten Besetzt - Zimmer frei einstellen ließ, das über der Einfahrt hing. Wenn ich es auf Zimmer frei stellte, würde vielleicht ein Autofahrer, froh, bei diesem Wetter eine
    Zuflucht gefunden zu haben, hier halten. Doch als ich an dem Schalter drehte, fuhr böse und heimtückisch ein greller Blitz in den Raum, und als der Donner dröhnte, packte mich eine riesenhafte Hand und schleuderte mich zu Boden.
    2
    Als ich wieder zu mir kam, wußte ich sogleich, wo ich war und was geschehen war. Ich preßte mich enger an den Fußboden und wartete auf den nächsten Schlag. Etwa zehn Minuten blieb ich so liegen, lauschte dem Trommeln des Regens, während ich überlegte, ob ich durch den elektrischen Schlag dauernden Schaden erlitten oder mein Haar sich weiß gefärbt hatte. Vielleicht war mein Haar verbrannt. Ich hob die Hand zum Kopf. Kahl war ich jedenfalls nicht. Allerdings spürte ich am Hinterkopf eine Beule. Vorsichtig bewegte ich mich. Keines meiner Glieder war gebrochen. Mir war nichts geschehen.
    Der große Kühlschrank in der Ecke begann plötzlich zu summen, und mir wurde klar, daß die Welt nicht untergegangen war. Noch schwach und zaghaft rappelte ich mich hoch und blickte mich um, voller Angst, ein Bild wilder Zerstörung vorzufinden. Doch alles war so, wie ich es »verlassen« hatte -der große Empfangstisch, der Metallständer mit Taschenbüchern und Zeitschriften, die lange Theke des Selbstbedienungsrestaurants, die zwölf kleinen Tische mit den Plastikdecken und

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