Der Spion der mich liebte
tuckernden Motoren und unheimlichen Sirenen für mich ein neues Erlebnis. Die Vespa brummte ruhig und gleichmäßig bei einer Geschwindigkeit von 65 km/h. Ich hatte beschlossen, täglich etwa 250 bis 350 Kilometer zurückzulegen. Doch ich wollte mich keinesfalls von einem festgelegten Fahrplan hetzen lassen.
Die Picknickplätze in Kanada und im Norden der Vereinigten Staaten sind eine gute Einrichtung. Dort findet man, unter Bäumen versteckt, auf einer Lichtung am Waldrand, am Ufer eines Sees oder eines Flusses eine Anzahl aus rohem Holz gezimmerter Bänke und Tische. Ich hatte vor, an diesen Picknickplätzen regelmäßig mein Mittagessen einzunehmen, wenn es nicht regnete. Doch ich wollte nicht in den Geschäften teure Lebensmittel einkaufen, sondern mir nur belegte Brötchen in den Motels mitgeben lassen, in denen ich übernachten würde. Dazu etwas Obst und eine Thermosflasche voll Kaffee -das würde mir als Mittagessen genügen. Abends wollte ich dann in einem Restaurant eine warme Mahlzeit zu mir nehmen. Mein Tagesbudget setzte ich auf fünfzehn Dollar fest. Ich wollte versuchen, mich innerhalb dieser Grenze zu halten. Die Essokarte mit der vorgezeichneten Route und die Broschüren des Automobilclubs enthielten Hinweise auf zahllose Sehenswürdigkeiten, die es nach dem Grenzübertritt zu besichtigen gab. Meine Fahrt führte mich durch das Indianergebiet von Fenimore Cooper und dann vorbei an einigen Orten, wo große Schlachten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges geschlagen worden waren.
Die Vespa lief wesentlich sicherer und leichter, als ich erwartet hatte. Als ich mich an die Schaltung an der Lenkstange gewöhnt hatte, beherrschte ich die kleine Maschine erst richtig. Die Beschleunigung - in zwanzig Sekunden auf fünfzig Stundenkilometer - war so gut, daß ich es leicht mit dem amerikanischen Durchschnittswagen aufnehmen konnte, und Steigungen brummte ich mühelos hinauf. Natürlich verfolgten mich die meisten jungen Leute mit schrillen Pfiffen, während die älteren grinsten und winkten, doch es machte mir, ehrlich gesagt, Spaß, die Sensation der Autobahn zu sein, und ich lächelte allen zu.
Am ersten Tag lief alles so reibungslos, daß ich noch vor Einbruch der Dunkelheit Montreal durchfahren hatte. Ich übernachtete etwa dreißig Kilometer außerhalb der Stadt in einem Motel an der Staatsstraße 9, die über die Grenze in den Staat New York führt. Im Southern Trail Motel behandelte man mich, als wäre ich Amelia Earhart oder Amy Mollison, und nach einem einfachen Abendessen und einem Glas Whisky, das mir der Besitzer des Motels aufgedrängt hatte, zog ich mich aufgeregt und glücklich in mein Zimmer zurück. Es war ein langer und herrlicher Tag gewesen. Die Vespa war ein Prachtstück, und mein Plan lief wie am Schnürchen. Einen Tag hatte ich für die ersten dreihundertfünfzig Kilometer gebraucht. Für die folgenden vierhundert brauchte ich fast zwei Wochen. Das war nicht weiter verwunderlich. Als ich die Grenze der Vereinigten Staaten überquert hatte, fuhr ich kreuz und quer durch die Adirondacks, als befände ich mich auf einer verspäteten Ferienreise. Ich will nicht in Einzelheiten gehen, denn ich schreibe ja keinen Reisebericht, doch es gab kaum eine Sehenswürdigkeit, sei es nun eine alte Festung, ein Museum, ein Wasserfall, eine Höhle oder ein hoher Berg, die ich nicht besucht hätte, ganz zu schweigen von den gräßlichen Storylands, Adventure Towns und imitierten Indianerreservationen, für deren Besichtigung ich mein Geld ausgab. Zum Teil beruhte dieses Interesse an den örtlichen Sehenswürdigkeiten auf echter Neugier, doch in erster Linie wollte ich so den Tag hinausschieben, an dem ich diese Seen,
Flüsse und Wälder würde verlassen müssen, um meinen Weg durch das herzlose Land der Superautobahnen, der Würstchenbuden und der gleißenden Neonlichter fortzusetzen. Und nach diesen zwei Wochen landete ich am Lake George, diesem scheußlichen Sammelplatz der Touristen in den Adirondacks, wo der See, die Geschichte dieses Gebiets, die ungezähmte Natur der Wälder und Berge zum Geschäft geworden sind. Abgesehen von der recht imposanten Festung und den Dampfern, die einen nach Fort Ticonderoga und wieder zurück befördern, ist das ganze Land ein greulicher Alptraum aus Gartenzwergen, Plastikrehen und wackligen Holzbuden. Hier beschloß ich, die Staatsstraße 9, die zur Hauptader des Fremdenverkehrsstroms geworden war, zu verlassen, und schlug eine staubige Landstraße ein, die
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