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Der Spion der mich liebte

Titel: Der Spion der mich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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ich nicht Monate für meine Fahrt nach Florida brauchen wollte. Ich machte zwei Probefahrten mit dem Händler, der auf dem Sozius hinter mir saß. Die Vespa flog wie ein Vogel und war so leicht zu fahren wie ein Fahrrad. Ich unterschrieb den Kaufvertrag, kaufte einen Sitzüberzug aus Leopardenfell, ein Ersatzrad, einen Rückspiegel, einen Gepäckträger, weiße Satteltaschen, die wunderbar zu der silbergrauen Karosserie paßten, eine Perspex Windschutzscheibe und einen weißen Sturzhelm, in dem ich mir vorkam wie Pat Moss. Der Händler gab mir einige gute Ratschläge, welche Kleidung am zweckmäßigsten sei, und ich kaufte mir einen weißen Motorradanzug mit unzähligen Reißverschlüssen, eine große Brille, die an den Rändern mit Pelz verbrämt war, und ein schickes Paar schwarzer Motorradhandschuhe aus Rehleder. Dann setzte ich mich im Hotel vor meine Landkarten und plante den ersten Abschnitt meiner Fahrt von Quebec aus. Ich reservierte mir einen Platz für den billigsten Flug nach Montreal, schickte Tante Florence ein Telegramm und verließ England an einem strahlenden Morgen am ersten September.
    Es war schön, wieder in der Heimat zu sein. Meine Tante behauptete, sie hätte mich kaum wiedererkannt, und ich war überrascht, als ich Quebec wiedersah. Bei meinem Verlassen war mir die Festung so mächtig und majestätisch erschienen. Jetzt wirkte sie wie ein großes Spielzeuggebäude aus Disneyland. Und die gigantischen Schlachten zwischen den Religionen, zwischen denen zermalmt zu werden ich einst geglaubt hatte, die tiefen Klüfte zwischen den »Canadiennes« und den anderen Einwohnern, besaßen im Licht meiner neuen Perspektive nicht mehr Bedeutung als kleinstädtische Zwistigkeiten. Diese Gedanken verbarg ich sorgfältig vor meiner Tante, obwohl ich vermutete, daß sie ebenso überrascht und vielleicht bestürzt war über den »letzten Schliff«, den mir mein Aufenthalt in Europa gegeben hatte. Sie muß in mir wohl das typische Großstadtpflänzchen gesehen haben, wenn ich mich auch innerlich einfach und bescheiden fühlte. Sie stellte mir endlose Fragen, um festzustellen, wie dick die Schicht äußerer Tünche war, welche Spuren das hektische Leben, das ich geführt haben mußte, zurückgelassen hatte. Wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte, dann hätte sie der Schlag getroffen. So beschränkte ich mich in weiser Voraussicht darauf, zu berichten, daß ich zwar eine Reihe kleiner Flirts hinter mir hatte, daß ich jedoch unversehrt und ohne gebrochenes Herz aus den räuberischen Städten jenseits des Ozeans zurückgekehrt sei. Nein, ich war nicht einmal verlobt gewesen. Du meine Güte, nein, kein Mann hatte mir einen Heiratsantrag gemacht - das entsprach ja der Wahrheit -, auf mich wartete kein Freund. Ich glaube nicht, daß sie das glaubte. Sie machte mir Komplimente über mein Aussehen. Ich sei une belle fille geworden. Ich hätte beaucoup de temperament - das ist ein französischer Euphemismus für Sex-Appeal - entwickelt, und sie könnte sich einfach nicht vorstellen, daß in meinem Leben kein Mann eine Rolle spielte. Sie war entsetzt über meine Pläne und malte mir die Gefahren, die mich auf der Landstraße erwarteten, in den düstersten Farben aus. Amerika wäre ein Tummelplatz der Gangster. Man würde mich auf der Autobahn niederschlagen. Außerdem war es absolut nicht ladylike, mit einem Motorroller durch die Gegend zu brausen. Ich erklärte ihr, daß meine Vespa durchaus gesellschaftsfähig sei, und sie ließ sich etwas besänftigen, als ich mich in meiner Kluft auf dem Roller vorstellte, wenn sie auch etwas zweifelnd bemerkte, daß ich Aufsehen erregen würde. Am fünfzehnten September schließlich hob ich von meinem kleinen Bankkonto tausend Dollar ab, die ich mir in Reiseschecks aushändigen ließ, packte meine Satteltaschen, drückte Tante Florence einen Abschiedskuß auf die Wange und knatterte in die Richtung der
    Staatsstraße 2 davon. Die Staatsstraße 2, die von Quebec nach Montreal führt, könnte eine der landschaftlich schönsten Autobahnen der Welt sein, wenn nicht seit dem Krieg an ihren Rändern zahllose Villen und Badehütten wie Pilze emporgeschossen wären. Sie zieht sich eng am Sankt-Lorenz-Strom entlang, folgt, an seinem Nordufer verlaufend, jeder Windung des großen Flusses. Ich kannte die Straße noch recht gut, weil ich als Kind oft zum Fluß zum Baden gefahren war. Doch inzwischen war der Sankt-Lorenz-Kanal eröffnet worden, und jetzt war der stetige Strom großer Schiffe mit

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