Der Spion der mich liebte
geben. Die Welt hatte mir die Zähne gezeigt. Jetzt würde ich die meinen zeigen. Ich war noch feucht gewesen hinter den Ohren. Jetzt war ich trocken.
Die Vorbereitungen zur Abtreibung - wie könnte ich diese Tatsache anders bezeichnen - gab mir hinreichend Gelegenheit, meine neue Rolle zu üben. Der Portier meines Hotels bückte mich mit den weltmüden Augen aller Portiers an. Dr. Süßkind, der Gynäkologe, an den Kurt mich verwiesen hatte, untersuchte mich und erkundigte sich, ob ich genug Geld hätte. Als ich die Frage bejahte, schien er sichtlich befriedigt. Er besitze nämlich ein Chalet. Er fragte, ob ich nicht aus dem Hotel zu ihm übersiedeln und vor der Operation eine kleine Erholungspause einlegen wolle. Ich maß ihn mit eisigen Blicken und erklärte, der britische Konsul, der mein Onkel sei, habe mich bereits in sein Heim eingeladen. Außerdem hätte ich die Absicht, mich sofort in die Klinik zu begeben. Der Konsul selbst hätte mir übrigens ihn, Dr. Süßkind, empfohlen, und sicher kenne auch Herr Dr. Braunschweig meinen Onkel. Meine Schwindelei verfehlte ihre Wirkung nicht. Ich hatte sie mit der Entschiedenheit vorgetragen, die zu meiner neuen Rolle gehörte, und die Geschichte hatte ich mir schon im voraus ausgedacht. Die Augen hinter der Brille verrieten Bestürzung. Es folgten weitschweifige Erklärungen und ein hastiger Anruf in der Klinik. Ja, man würde mich bereits am folgenden Nachmittag aufnehmen.
Es war seelisch so bedrückend und körperlich so schmerzlos, wie ich es erwartet hatte, und nach drei Tagen war ich wieder in meinem Hotel. Inzwischen hatte ich einen Entschluß gefaßt. Ich flog zurück nach London und wohnte in dem neuen Ariel Hotel in der Nähe des Londoner Flughafens, bis ich mich meiner wenigen Habseligkeiten entledigt und meine Rechnungen bezahlt hatte. Dann suchte ich den nächsten Vespa-Händler in Hammersmith auf.
Mein Plan war, mindestens ein Jahr lang allein auf Reisen zu gehen und die andere Hälfte der Welt kennenzulernen. Von London hatte ich genug. Dort hatte mir das Leben zwei harte Faustschläge versetzt, und ich stand nicht mehr sicher auf den Beinen. Dereks künstliche Welt war mir fremd, und mit der klinisch sterilen modernen Liebe, die Kurt mir geboten hatte, wußte ich nichts anzufangen. Ich sagte mir selbst, daß es daran lag, daß ich zuviel Herz hatte. Keiner dieser Männer hatte mein Herz gewollt. Ihnen war nur an meinem Körper gelegen gewesen. Oder ich war einfach zu wenig raffiniert, um im Dschungel der Großstadt überleben zu können. Ich war eine leichte Beute für die Raubtiere. Ich war zu kanadisch, um mit Europa konkurrieren zu können. Dann eben nicht! Ich war einfach, folglich würde ich in das Land der Einfachheit zurückkehren. Keinesfalls jedoch, um dort herumzusitzen und mit meinem Schicksal zu hadern. Ich würde aufbrechen, um Neuland zu erforschen. Ich würde Amerika von Norden nach Süden durchstreifen und mich als Kellnerin, Babysitter und Hotelsekretärin bis nach Florida durchschlagen. Dort würde Ich mir eine Stellung bei einer Zeitung suchen und bis zum Frühling in der Sonne sitzen. Dann erst würde ich weiterdenken.
Als mein Entschluß erst einmal gefaßt war, nahmen mich die Einzelheiten zur Durchführung meines Plans ganz gefangen, vertrieben mein Elend oder hielten es zumindest in Schranken und betäubten mein Gefühl der Schuld und des Versagens. Die Preise für Gebrauchtwagen in Amerika waren zu hoch, ebenso die Betriebskosten, und plötzlich verfiel ich auf den Gedanken, einen Motorroller zu kaufen. Zunächst erschien mir dieser Einfall lächerlich, die Vorstellung absurd, mit einer so kleinen Maschine über die endlosen Autobahnen zu knattern. Doch der Gedanke an die frische Luft, an die Möglichkeit, aus vier Litern Benzin hundertfünfzig Kilometer herauszuholen und mit leichtem Gepäck zu reisen, bewogen mich schließlich, den
Händler in Hammersmith aufzusuchen. Ich wußte über Motoren ganz gut Bescheid - jedes Kind in Nordamerika wächst mit Autos auf - und ich wog die Vor- und Nachteile der kleinen 125er Maschine gegen die des stärkeren und schnelleren 150er Sportmodells ab. Natürlich entschied ich mich für das Sportmodell mit seiner hervorragenden Beschleunigung und einer Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern. Zwar würde ich etwas mehr Benzin verbrauchen als mit der anderen Maschine, doch ich sagte mir, daß das Benzin in Amerika billig sei und eine gewisse Geschwindigkeit unerläßlich war, wenn
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