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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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altes Foto, auf dem er noch keinen Bart hatte und noch schlichtere Kleidung trug als die Seemannskluft, in der er zurzeit herumlief.
    »Gibt es eine Möglichkeit, ihn zu verhaften, ohne Aufsehen zu erregen?«
    »Das ist eine rhetorische Frage, nicht wahr?«, meinte Van Upp.
    Der Minister bekundete sein Missfallen und warf die Mappe auf den Schreibtisch zurück. Sein Protest ging im Geschrei unter, das plötzlich aus dem Vorzimmer drang.
    »Platz da! Aus dem Weg!«, sagte der Polizeichef drohend, stürmte an der Sekretärin vorbei ins Büro des Ministers und schloss die Tür. Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass der Minister und Van Upp ihn schweigend ansahen.
    »Meine Herren!«, sagte er jovial, während er Papiere wedelnd mit großen Schritten auf den Schreibtisch zustürmte.
    »Was ist das?«, fragte der Minister.
    »Der Haftbefehl«, sagte der Polizeichef selbstzufrieden. »Unterschreiben Sie ihn persönlich oder …?«
    Der Blickwechsel zwischen dem Minister und Van Upp entging ihm nicht.
    »Was geht hier vor?«, fragte er.
    »Weder der Chefermittler noch ich sind davon überzeugt, dass diese Verhaftung angebracht ist.«
    Der Polizeichef ließ die Arme sinken.
    »Ich würde gerne wissen«, sagte er, »warum ich nicht als Erster zu dieser Besprechung einbestellt wurde.«
    »Möchten Sie sich setzen? Das mit dem verzögerten Anruf war ein Fehler meiner Sekretärin«, sagte der Minister; er wirkte sichtlich amüsiert.
    »Ich sehe nicht, äh, ich verstehe nicht, was es für Zweifel daran gibt, dass unser Mann der Täter ist.«
    »In unserem Fall spielt er bloß eine Nebenrolle«, erklärte der Minister und setzte sich in seinen Sessel. »Er ist der Führer einer Extremistengruppe, der ein bisschen herumgeprahlt hat und sich an den Tatorten hat blicken lassen. Meine Intuition sagt mir, für ihn ist das Ganze ein rein politischer Schachzug.«
    »Im Gegenteil, Herr Minister«, sagte der Polizeichef, »ich glaube, dieser Verhaftung kommt eine überaus große Bedeutung zu.«
    »Ach ja?«
    »Es ist das Einzige, was wir haben«, sagte der Polizeichef und sah Van Upp von oben herab an.
    Der Minister lachte auf. Er hatte ganz vergessen, wie messerscharf die Schlüsse seines Polizeichefs sein konnten.
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte der Minister, der sich langsam erholte. »Aber ich möchte, dass Sie sich unsere Einwände anhören.« Er deutete mit der Hand zu Van Upp und übergab ihm das Wort.
    Das Wort unsere war dem Polizeichef nicht entgangen.
    »Dieser Mann brennt darauf, sich zu solch einer Tat bekennen zu können«, erklärte Van Upp. »Aber man fragt sich, warum er am Tatort nicht eine einzige Spur hinterlassen hat, damit wir die Tat mit ihm oder seiner politischen Gruppierung in Verbindung bringen.«
    »Und was ist mit dieser Botschaft, die wir bei Ferrer gefunden haben? Mit Blut geschrieben.«
    »Da ist noch etwas«, sagte Van Upp. »Warum sollte eine politische Gruppierung wie seine, die sich den Atheismus auf ihre Fahnen geschrieben hat, ausgerechnet auf einen Bibeltext verweisen?«
    »Um uns auf eine falsche Fährte zu locken«, sagte der Polizeichef.
    Van Upp sah ihn an. Er wusste nicht, wie er auf diese Vermutung reagieren sollte, ohne beleidigend zu klingen.
    »Warum nicht?«, fragte der Polizeichef mit erhobener Stimme. »Vielleicht will er, will er … Zeit gewinnen, genau, damit er die Mordserie zu Ende bringen kann!«
    »Die Sache ist heikel«, unterbrach ihn der Minister. »Wir können uns nicht den Luxus erlauben, ihn zu verhaften und ihn in ein paar Tagen wieder freizulassen und seinen Namen von Schuld und Makel völlig reinzuwaschen. Was machen wir, wenn Moliner ermordet wird, während er im Gefängnis sitzt? Der Preis ist zu hoch.«
    »Auch nicht höher als der, den wir zahlen, wenn man ihn umbringt, während der Kerl frei herumläuft«, erwiderte der Polizeichef.
    »Ich bitte Sie, noch ein wenig abzuwarten«, sagte der Minister. »Heften Sie sich meinetwegen Tag und Nacht an seine Fersen. Aber rühren Sie ihn nicht an, bis ich ein paar Nachforschungen abgeschlossen habe, die uns mehr Rückendeckung geben, wenn wir zur Tat schreiten.«
    »Dann ist es vielleicht schon zu spät«, sagte der Polizeichef.
    »Ich bin doch sehr verwundert über Ihr Verhalten«, sagte der Minister, der allmählich die Geduld verlor. »Ich dachte, nach all den Jahren hätten Sie gelernt, mit den Zeitplänen der Politik umzugehen.«
    »Ich habe gelernt, mich mit ihnen abzufinden. Genügt das nicht?«
    Van Upp stand

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