Der Spion der Zeit
sollten grundsätzlich nur notwendige Bücher publiziert werden, meinen Sie nicht? Bücher, die erbaulich sind, der Erleuchtung der Seele dienen. Aber weil Quiroz ein Dickkopf ist, Sie kennen ihn ja, hatte er die Stirn, heimlich Kontakte zu nichtkirchlichen Verlagen aufzunehmen. Zum Glück ohne Erfolg. Mit spekulativem Denken kann man in der heutigen Zeit niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Spinoza würde heute keinen Verleger finden! Niemand möchte die Fundamente seiner Welt in Frage gestellt sehen. Quiroz’ Ungehorsam traf auf die denkbar ungeeignetsten Ohren. Man legte ihm nahe, er solle in sein Land zurückkehren und die Zeit seiner Pensionierung im Schutz der Kirche von Trinidad verbringen. Von dem Zeitpunkt an hat er im Kloster gelebt.«
»Das eher wie ein Gefängnis anmutet.«
»Die Geheimnisse der Architektur.«
»Laut Quiroz war ich seit Jahren der erste Mensch außerhalb der Klostermauern, mit dem er Kontakt hatte.«
»Schon merkwürdig.«
»Sie haben unser Treffen arrangiert, nicht wahr?«, fragte Van Upp.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Wie haben Sie mich gefunden?«
Der Kardinal seufzte. Er sah ein, dass jedes Leugnen sinnlos war.
»Es war eine lange Suche, die ihre Früchte erst trug, als Calabert zum Papst geweiht wurde. Auf sein Ersuchen hin wurden die Tore geöffnet, die vorher verschlossen waren. Und so erfuhren wir, dass Sie sich hier in Trinidad aufhielten. Eine Zeitlang war es schwierig für uns, an Sie heranzukommen. Es hieß, Sie lebten fernab der Stadt auf einer schwer zugänglichen Insel. Wir kontaktierten Ihre früheren Vorgesetzten und bekundeten unser Interesse an Ihrer Person, an Ihrem Gesundheitszustand. Die kümmerten sich darum, dass es Ihnen an nichts fehlte. Wochenlang haben wir uns gefragt, was wohl die … angemessenste Form wäre, mit Ihnen in Kontakt zu treten.«
»Und da habe ich beim Episkopat angerufen und nach Pater Martin Quiroz gefragt.«
»Genau.«
»Und der hat Ihnen bestätigt, was Sie über mich wissen wollten.«
»Sagen wir, er hat ein vielversprechendes Bild gezeichnet.«
Van Upp setzte sich nun doch. Der bernsteinfarbene Schimmer der Fensterscheiben spiegelte sich exakt im Weiß seiner Augen.
»Was gedenkt Calabert mir vorzuschlagen?«
»Das hängt von Ihnen ab. Erst einmal sicheren Unterschlupf im Vatikan.«
»Warum sollte ich ausgerechnet ihm vertrauen, dem Oberhaupt der katholischen Kirche?«
Der Kardinal öffnete seinen Aktenkoffer, nahm ein paar Papiere heraus und breitete sie auf dem Tisch aus.
Es handelte sich um Einreiseformulare mit Stempeln jüngeren Datums, ein paar Fotos und eine Reihe von Kurzbiografien.
»Was ist das?«, fragte Van Upp.
»All diese Männer sind in den letzten Wochen in Trinidad eingereist. Sie alle gehören zum Personal der ›Gesellschaft‹. Professionelle Mörder. Der Heilige Vater wollte, dass ich Sie davon in Kenntnis setze. Eine Geste des guten Willens.«
»Trotzdem …«
»Da ist noch etwas«, sagte Vicco mit wohlwollendem Lächeln. (Er war ein Karrierediplomat.) »Der Heilige Vater hat mich gebeten, Ihnen eine Information zu geben, die es Ihnen erlaubt zu verstehen, dass sein Interesse an Ihnen nicht allein, wie soll ich es ausdrücken … professioneller Natur ist. Etwas, das so gut wie niemand weiß. Ein kompromittierendes Detail, wie Sie gleich feststellen werden.«
»Ich kann immer noch nicht nachvollziehen, wie Sie mich gefunden haben.«
»Calabert wurde in Argentinien geboren und ist dort aufgewachsen. Während des Studiums in Buenos Aires hat er eine junge Amerikanerin kennengelernt, die dort zeitweilig für ein Filmstudio gearbeitet hat. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Sie hatten eine kurze intensive Affäre, nach der sie sich nie mehr wiedergesehen haben. Kurz darauf ist Virginia Van Upp in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt.«
Vicco schaute ihn an und versuchte die Reaktion seines Gegenübers einzuschätzen, doch Van Upp zeigte keinerlei Regung.
»Es vergingen viele Jahre, bis Calabert von Ihrer Existenz erfuhr. Ich werde Ihnen nicht sagen, wie das geschah, denn ich weiß, das möchte er Ihnen lieber persönlich erzählen. Ich kann Ihnen jedoch bestätigen, dass der Heilige Vater vor ein paar Monaten Kontakt zu Virginia Van Upp aufgenommen hat. Sie hat ihm gestanden, sie habe keinerlei Verbindung zu Ihnen gehabt. Sie wusste nicht, ob Sie weiterhin ihren Namen trugen oder noch am Leben waren, und ob Sie sich in Trinidad oder anderswo auf der Welt aufhielten. Irgendwann
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