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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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etwas nachlässig gekleidet war und so gar nichts mit dem Dandy der letzten Besuche gemein hatte? Er sah um viele Jahre älter aus, so wie wenn man zwei Fotos derselben Person aus unterschiedlichen Lebensphasen vergleicht und das Gefühl hat, es handele sich um denselben Menschen und zugleich um einen anderen.
    »Ich wollte zu Pater Quiroz«, sagte Van Upp.
    »Das wird nicht möglich sein.«
    »Ist er krank?«
    »Er ist fort. Pater Quiroz wohnt nicht mehr hier.«
    Van Upp sah sie ungläubig an. Er versuchte sich aufzurichten, ließ aber dann erschöpft die Ellbogen auf die Knie sinken, als wäre sein Kopf mit einem Mal viel zu schwer.
    »Sie wollen mir erklären, Pater Quiroz habe einfach so entschieden, woanders hinzugehen, seine Siebensachen gepackt und …?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Was dann?«
    »Pater Quiroz geht nach Rom. Auf Anordnung des Papstes. Er wird mit dem Gefolge reisen, wenn der Heilige Vater das Land verlässt.«
    »Das ist in der Tat eine Überraschung. Ich hatte eher den Eindruck, Pater Quiroz stünde mit den Kirchenoberen auf Kriegsfuß.«
    »Schon möglich. Aber auch der stärkste Wind ändert seine Richtung.«
    Der Ermittler schob die Hand in seine Manteltasche und holte eine bronzefarbene Metalldose heraus. Sie war leer. Er seufzte und sah die Nonne mit angstverschleierten Augen an.
    »Würde es Sie stören, wenn ich noch ein Weilchen bliebe?«
    »Überhaupt nicht. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann …«
    Van Upp schien das Angebot ernsthaft in Erwägung zu ziehen, dann steckte er die leere Pillendose in die Tasche zurück.
    Als die Nonne verschwunden war, stand er auf, ging zum Springbrunnen und suchte auf der glatten Wasseroberfläche nach seinem Spiegelbild. Im gleißend hellen Sonnenlicht sah er jedoch nur einen dunklen Fleck.
    Schwester Solange beobachtete ihn von der Galerie aus. Als Van Upp aufschaute, sah er, wie sie die Hand zum Gruß hob. Er erinnerte sich, wann er sie zum letzten Mal gesehen hatte: an derselben Stelle, in derselben Haltung. Wenige Augenblicke bevor er sich von Quiroz am Ende jenes Gesprächs verabschiedet hatte, das, wie er jetzt wusste, ihr letztes gewesen war.
    Sie hatten über Gott gesprochen, darüber, wie er am liebsten tötete.
    IX
    »Gott tötet auf vielfältigste Weise«, hatte der alte Mann gesagt. »Häufig über Mittelsmänner. Er lässt andere die Drecksarbeit erledigen. Jakobs Söhne, zum Beispiel, haben den Stamm Sichems ermordet. Moses wird zum Völkermörder und erklärt dem Stamm Amalek den ewigen Krieg. Weil Gott sich an denjenigen rächen will, die einen der Propheten wegen seiner Glatze verspottet haben, hat er zwei Bären vom Himmel gesandt, die zweiundvierzig Kinder töteten. Die Härte der Strafe lässt nur den Schluss zu, dass Gott selbst eine Glatze hat … oder befürchtet, eine zu bekommen.«
    Van Upp hatte wissen wollen, was passierte, wenn Gott nicht auf Mittelsmänner zurückgriff.
    »Die Arbeit, die er selbst erledigt, ist die weitaus beste«, hatte der Priester gesagt. »Die Sintflut. Sodom und Gomorra. Der arme Lazarus, den er wieder auferweckte, damit er zum zweiten Mal die Erfahrung des Todes macht. König Manasse, dessen Fleisch verfault und von den Knochen fällt. Haben Sie mal Sacharja, Kapitel elf, Vers vier bis siebzehn gelesen? ›Sein Arm soll völlig verdorren, sein rechtes Auge soll gänzlich erblinden.‹ Die Strafe für den Hirten, der seine Aufgabe nicht erfüllt.«
    Plötzlich hatte er abgebrochen. Er bekam keine Luft mehr. Der Strohhut fiel ihm aus der Hand. Van Upp hob ihn auf.
    »Sind Sie deshalb hier?«, fragte der Ermittler. »Ähnelt dieser Ort deshalb mehr einem Gefängnis als einem Kloster?«
    »Seit fünfzehn Jahren hat mich niemand mehr besucht«, sagte der Priester. »Freunde und Angehörige haben es versucht und versuchen es immer wieder, aber man verweigert ihnen die Erlaubnis. Hatten Sie Schwierigkeiten, zu mir zu kommen? Haben Sie eine Idee, warum man Ihnen die Pforten geöffnet hat?«
    Van Upp schüttelte den Kopf.
    »Dann gehen Sie. Ich werde nicht zulassen, dass Sie weiter mit mir spielen. Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten Ihren Mörder? Was hält Sie dann noch hier? Wollen Sie mehr über Gott wissen? Woher diese Obsession? Es lohnt nicht, sich mit Gott zu beschäftigen. Ich versichere Ihnen, dem würden Sie lieber nicht begegnen. Auch darin ist er uns ähnlich: Er tötet oder verletzt nur, was er fürchtet«, hatte er gesagt und sich verzweifelt auf den verdorrten Arm

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