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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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aufgeben. Abellán war meine letzte Karte. Wenn niemandem auffiel, auf welche Weise er zu Tode gekommen war …
    Andererseits musste ich mich beeilen. Durch die Verwirrung um Ferrers Tod war ich kurzzeitig im Vorteil. Ich wollte zu Abellán vorstoßen, bevor man einen Beamten zu seinem Schutz abstellte, der mich in meiner Bewegungsfreiheit einschränkte; ich fühlte mich noch unsicher. Wieder ein Telefonat. Ich stellte mich vor und sagte, ich müsse ihn im Zusammenhang mit der Ermordung von Ferrer treffen, die, wie er wüsste, ihn direkt beträfe. Abellán fragte mich, ob ich sicher sei, dass es sich um Mord handelte. Ich erwiderte, es bestünde kein Zweifel. Er bestellte mich gleich in sein Haus. Ich bereitete noch etwas Sebrepticium vor und vertraute bei der Mischung der Bestandteile auf mein Gedächtnis; wie sich herausstellen sollte, lag ich falsch.
    Meine ursprüngliche Idee war es, ihn ins Bad zu schleppen und dafür zu sorgen, dass er betäubt in der gefüllten Badewanne ertrank. Ich hatte ein Päckchen Meersalz dabei: Abellán würde in Meerwasser sterben, und niemand würde an seinem Körper irgendwelche Spuren von Gewalteinwirkung feststellen. Das musste Kommissar X auffallen. Niemand ertrinkt freiwillig in fünfzig Zentimeter hohem Wasser!
    Doch als Abellán mir die Besonderheiten seines Arbeitszimmers erläuterte – gepanzerte, abgedichtete Scheiben, völlige Abgeschiedenheit; ich schwöre, dass er sagte, er wolle sich »vor den Furien und dem Wind schützen« –, inspirierte mich das. Das kleine Waschbecken gab den Ausschlag.
    Ich sprühte ihm das Gift ins Gesicht. Ich fing ihn auf, bevor er zu Boden stürzen konnte: Es war wichtig, dass sein Körper nirgendwo anschlug, auch nicht, als er ohnmächtig wurde.
    Im Regal fand ich eine Bibel. Es war ein Geistesblitz, ein Augenblick göttlichen Wahns. Ich wusste, wonach ich suchte: nach dem Bericht über die Sintflut im ersten Buch Mose, Kapitel vier bis elf. Da ich X’s Ungehobeltheit nach wie vor nicht traute, entschied ich mich für einen Wink mit dem Zaunpfahl. Die herausgerissenen Seiten waren ein perfekter Verschluss. Binnen einer halben Minute schwappte das Wasser über das Waschbecken. Einen Teil des Salzes schüttete ich dort hinein – zu viel, wie meine Untersuchungen später ergaben –, dann hob ich unter Mühen Abellán vom Boden auf und tauchte seinen Kopf ins Wasser. Er wehrte sich nicht. Ich ließ den Kopf sechs Minuten im Wasser, so lange, wie meine Arme sein Gewicht halten konnten. Am Ende sackte er zu Boden. Ich fühlte seinen Puls: Er war tot. Ich verteilte das restliche Salz auf dem Boden, ging hinaus und verschloss die Tür.
    Ich blieb etwa zwei Stunden in Abelláns Garten und sah zu, wie das Wasser stieg. Das Ergebnis übertraf meine verrücktesten Erwartungen: Als ich ging, war der Körper schon komplett untergetaucht.
    Der Überschwang des Augenblicks verwandelte sich am nächsten Tag in Niedergeschlagenheit. Die Hypothese vom Selbstmord (ein äußerst komplizierter, fast unausführbarer Selbstmord) war die einzige, die den Polizisten plausibel erschien. Außerdem musste ich noch mit Prades und Moliner abrechnen, den schwierigeren Kandidaten. Der Schmerz um Lucas war nicht einen Zentimeter von der Stelle gewichen. Er war heftig wie immer, pulsierend, nachhaltig. Obwohl Ferrer und Abellán tot waren, diente der Schmerz über Lucas’ Verschwinden mir als einziges Maß für Wirklichkeit.
    Da geschah das Wunder.
    Ich erhielt einen Anruf vom Minister, den ich seit meiner Jugend kannte. Ich hatte, das wissen nur wenige, zwei Jahre lang damit geliebäugelt, Anwalt zu werden, und Jura studiert; er hatte das Studium beendet, war dann aber gleich in die Politik eingestiegen, die ihn erst ins Exil und später an die Macht brachte. Er müsse mich etwas fragen, halbamtlich. Er fragte mich, ob ich den Ermittler Van Upp kennte. Als ich das bejahte, wollte er wissen, wie ich seine Qualitäten einschätzte. Als er meine Begeisterung vernahm, versicherte er sich, ob ich Bescheid wisse, dass er einen Nervenzusammenbruch gehabt habe. Ich sagte, so etwas komme vor, besonders bei Leuten, die immer unter extremem Druck stünden, aber ich glaubte nicht, dass es sich um etwas Bleibendes handelte. Dann kam er zum Punkt: Er fragte, ob ich wüsste, dass Van Upp die Ermittlungen im Fall der Prätorianer leiten solle.
    Ich war sprachlos. Mein Verstand kämpfte darum, sich mit dem Gedanken der Vorsehung vertraut zu machen. Am Ende strömten die Worte aus meinem

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