Der Spion und der Analytiker
Untersuchungsergebnisse eines der besten Krankenhäuser von Zürich gefunden.«
»Franz, was ist denn mit dir los? Bist du vielleicht von der Virusidiotie angesteckt worden? Seit wann verläßt sich der Dienst auf die Arbeit von anderen? Unsere Labors sollen die Krankheit diagnostizieren, sofern es sich hier überhaupt um Krankheit gehandelt hat.«
»Meinst du …« hob Franz leise an.
»Vorerst meine ich gar nichts, aber ich glaube nicht an Zufälle. Mayer war mit Guthrie befreundet, er sollte an dem Kongreß teilnehmen, und da stürzt er sich einen Tag vorher den Treppenschacht hinab. Vom vierten Stock … Mag ja sein, daß alles seine Richtigkeit hat«, fuhr er fort, »aber wir werden nicht dafür bezahlt, uns mit einem ›mag sein‹ zufriedenzugeben. Keine einzige der vom Dienst kontrollierten Personen wußte etwas von der Homosexualität Mayers, und da stimmt etwas nicht. War er tatsächlich krank, oder wollen sie uns das nur weismachen? Vermutlich werden wir herausbekommen, daß Mayers Arzte nichts von seiner Krankheit wußten, und es wird sich zeigen, daß die Untersuchungen von einem Labor durchgeführt worden sind, das Mayer vorher nicht, ja wahrscheinlich überhaupt noch nie gesehen hatte.«
»Aber warum dann dieses Verwirrspiel mit dem Bekenntnisschreiben, in dem er erklärt, schon als Gymnasiast homosexuell gewesen zu sein, während wir wissen, daß das nicht der Fall ist?« fragte Franz.
»Zwei Skandale zum Preis von einem«, erwiderte Ogden. »Schande und Selbstmord – bei solchen Zutaten haben alle das Bestreben, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen. Hast du vergessen, daß Mayers Frau eine Tochter des Kanzlers Grass ist? Dreht den Leichnam dieses armen Teufels um und um wie einen Handschuh, und zwar rasch. Ich habe schon mit Casparius geredet, die Leiche kommt in unsere Labors, und die Witwe wird weiter am Grab ihres Ehemanns weinen, ohne zu ahnen, daß dieses leer ist. Sofern ihr überhaupt noch der Sinn danach steht.«
»Zum Glück bin ich im operativen Einsatz, Machiavelli ist nicht mein Fall.« Franz nahm seinen Hut und setzte ihn auf den Kopf. »Ich melde mich, sobald ich etwas Neues weiß, und mach dir wegen Guthrie keine Gedanken, wir lassen ihn nicht einmal aus den Augen, wenn er aufs Klo geht.«
Ogden sah, wie der Agent durch die Drehtür des Hotels hinausging und draußen im Gewühl verschwand. Er blickte auf die Uhr: es war noch früh, er konnte sich noch massieren lassen und im Hotelschwimmbad ein paar Runden drehen.
Ogden schlief ein, während sich der alte Masseur beharrlich mit seinem dritten Halswirbel beschäftigte. Er träumte von dem Mädchen und von dem Genfer Restaurant, in dem er es zum erstenmal gesehen hatte. Der azurblaue Himmel spiegelte sich im See, es war ein sonniger Tag, man konnte durch die Scheiben die Villen am anderen Ufer klar erkennen.
Ein Kellner kam an den Tisch des Mädchens und sagte etwas. Sie stand auf und ging aus dem Saal. Er hätte sie am liebsten aufgehalten, aber er konnte sich nicht bewegen.
Durch einen etwas stärkeren Druck an seinen Schulterblättern wurde er wach. Der Mann bearbeitete seinen Rücken und löste mit seinen geschickten Händen die letzten beängstigenden Schlafreste auf. Ogden fragte sich, warum ihm ausgerechnet diese Erinnerung in den Sinn gekommen war. Die Geschichte, die sich im Genfer Lion d’Or abgespielt hatte, lag Jahre zurück. Das Mädchen saß in Gesellschaft eines Mannes an einem Tisch in seiner Nähe. Sie hatte ein helles Gesicht und sehr dunkles Haar. Der Mann, der ihr gegenübersaß, war blond und hatte tiefblaue Augen.
Die beiden hatten seine Neugier wegen ihrer Verschiedenartigkeit geweckt, die sie aber keineswegs trennte, sondern die eher so etwas wie eine gegenseitige Vervollkommnung war. Obwohl sie so verschieden waren, wirkten sie wie Geschwister, die ihre körperlichen Familieneigenschaften so vermischt hatten, daß sie – wären sie nicht beide so jung gewesen – jeder das Kind des anderen hätten sein können. Vor allem aber hatte ihn die Konzentration verblüfft, mit der sie redeten und sich bewegten, eine Konzentration, die gewöhnlich einer Aktion vorausgeht: sie warteten auf etwas, auf etwas, das mit dem Tod zu tun hatte.
Er konnte ganz gut Italienisch, das kam ihm jetzt zugute. Ihr Tisch befand sich in der Nähe des seinen, allerdings nicht nah genug, und sie unterhielten sich leise. Er hörte mehrmals das Wort Universitätsklinik.
Nach dem Abendessen war ihnen Ogden diskret
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