Der Spion und der Analytiker
sich in den Sessel gegenüber fallen. »Heute hat mich eine Person aufgesucht, die Ihnen bekannt ist. Stuart war bei mir …«
»Ja?« sagte Ogden und drückte seine Zigarette aus. »Was wollte er?«
»Anfangs hat er sich als Patient ausgegeben, den ein Kollege zu mir geschickt haben sollte. Als ich ihn entlarvte, schien er stolz auf mich. Um es kurz zu machen, der Grund für seinen Besuch scheinen die großen Sorgen zu sein, die sich Ihre ganze sympathische Familie um Sie macht.«
»Sorgen?« fragte Ogden mit zusammengekniffenen Augen, als hätte er nicht richtig gehört. »Was für Sorgen?«
»Hören Sie«, Guthrie beugte sich vor und sah ihn an. »Diese Geschichte gefällt mir nicht, und sie sollte auch Ihnen nicht gefallen. Ihr Stiefbruder da, dieser Stuart, ist eigens aus Berlin gekommen, um mir Ihre geistige Gesundheit ans Herz zu legen …«
Ogden hob ruckartig den Kopf.
»Was soll das bedeuten?«
»Dieser Kerl, einer der schlimmsten Paranoiker, der mir in meiner ganzen Praxis begegnet ist, war hier, um mit mir über die sentimentalen Verwicklungen seines Kollegen zu reden, also über die Ihren. Verwicklungen, die Ihre ganze Bande offenbar aufs äußerste beunruhigen …«
»Was?«
»Sie haben ganz richtig verstanden. Die wissen, daß Ihre Italienerin in Wien ist. Sie wissen auch, daß Sie in diese Frau ernsthaft verliebt gewesen sind, und befürchten, daß dies Ihre Aktivität beeinträchtigen könnte, falls Sie sie wiedertreffen.«
Ogden starrte auf die Flammen in dem kleinen Kamin, den Grete angezündet hatte, bevor sie ging.
»Was hat er noch gesagt?«
»Er hat mich um meine Mitarbeit als Psychoanalytiker gebeten. Ich soll Ihnen Hilfestellung geben, falls Sie sie brauchen.«
»Das ist doch lächerlich …«
»Meiner Meinung nach hat dieser Stuart nicht die Wahrheit erzählt, zumindest nicht die ganze Wahrheit. Ich hatte das Gefühl, daß sie ihn zu mir geschickt haben, um mich zu testen. Und ich glaube, sie wissen auch, daß Sie das Mädchen getroffen haben. Sie haben sie doch getroffen?«
Ogden stand auf und ging im Zimmer auf und ab.
»Ja«, sagte er und blieb stehen.
»Ihr Kollege hat gesagt, der Dienst sei überzeugt, daß diese Frau mit der ganzen Geschichte, um die ihr euch kümmert, nichts zu tun hat.«
Ogden lächelte kühl.
»Casparius ist überängstlich wie alle fragwürdigen Eltern. Er befürchtet, daß gefühlsmäßige Ablenkungen meine Tatkraft beeinträchtigen könnten. Wer weiß«, fügte er achselzuckend hinzu, »vielleicht hat er sogar recht.«
»Was haben Sie jetzt vor?«
Ogden wirkte zerstreut. Er trat ans Fenster, schob die Vorhänge beiseite und sah hinaus. Als die Stille peinlich wurde, drehte er sich um.
»Doktor, wissen Sie, wer einer der größten Spione aller Zeiten war, ja vielleicht der größte überhaupt?«
Guthrie schüttelte den Kopf.
»Richard Sorge. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Ja, jetzt erinnere ich mich. Der hat im Zweiten Weltkrieg von Japan aus ein dreifaches Spiel gespielt; er arbeitete für die Russen …«
»Es ist viel wahrscheinlicher, daß er für sich selber gearbeitet hat«, fiel ihm Ogden ins Wort, »einfach für das Vergnügen, die ganze Welt in Händen zu halten. Und das ist ihm auch mindestens zweimal gelungen. Ein ganz außergewöhnlicher Mann, wenn auch nicht gerade von Ethik geleitet.«
»Die Psychoanalytiker sind ja nun nicht gerade auf Ethik aus …«
»Ach!« rief Ogden aus. »Wie kann dann ein Mann wie Sie mit seinen Kollegen auskommen?«
Guthrie antwortete achselzuckend:
»Ich bin gar nicht so beliebt.«
Ogden lächelte. »Das Wort Sorge in all seinen Bedeutungen entspricht ganz genau meinen Gefühlen für diese Frau«, fuhr er fort. »Casparius macht sich vielleicht gar nicht so grundlos Sorgen. Tragen Sie Sorge dafür, daß er es erfährt. Sollte sich Stuart noch einmal bei Ihnen melden, dann sagen Sie ihm doch bitte, welch gefährliche Gefühle ich für diese Frau hege. Das kann ganz lustig werden.«
»Es ist gefährlich«, ergänzte Guthrie. »Man möchte fast glauben, daß jener Spion seinen Namen als Herausforderung gesehen hat …«, setzte er nachdenklich hinzu.
»Gewiß.«
»Wie Sie wollen«, fuhr Guthrie fort. »Wenn sie sich wieder melden, werde ich diesen Stuart über das Ausmaß Ihrer Gefühle für diese Dame aufklären, sofern sie darüber nicht ohnehin schon informiert sind. Aber vertauschen Sie jetzt nicht die Rollen, Sie sind der Spion, nicht ich.«
Ogden lachte.
»Keine Angst, Doktor, ich
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