Der Spitzenkandidat - Roman
steigend. Er hätte auf die 1,2 Millionen verzichten können, die Stein ihm schuldete. Aber Stein hatte ihn betrügen wollen, das konnte Oleg nicht auf sich sitzen lassen. Einen Oleg Subkow prellte man nicht. Sein Ruf war sein Kapital. Ein beschädigter Ruf wäre wie eine Ader, aus der unablässig Blut heraustropft. Deshalb war Boris jetzt hier, in diesem lausigen Hotel in dieser lausigen Stadt mit der dicklichen Kellnerin.
Natürlich täte es ihm um die Kleine leid. Aber sie war eine von sieben Milliarden – das rückte die Verhältnisse an ihren Platz. Boris war nun mal ein harter Hund. Und Hunde bringen ihrem Herrchen die Beute.
Oleg und Boris kannten sich aus ihrer Zeit beim russischen Militär. Als die GUS-Staaten ihren Geist aufgegeben hatten, war aus Oleg ein Waffenhändler geworden und Boris sein Leibwächter. Damals war die Luft in St. Petersburg bleihaltig, ohne Leibwächter hätte man sich genauso gut selbst entleiben können. Inzwischen hatte Putin Stützpfeiler eingezogen und den Leibwächtern ein ruhigeres Leben verschafft. Oleg hatte seinen besten Mann trotzdem behalten, als Fahrer und für die Arbeiten, die erledigt werden müssen, auch wenn man dafür keinen Kulturpreis erhält. Boris hatte letzte Woche in Hannover sein Quartier im Stadtparkhotel aufgeschlagen. Boris würde das Geld beschaffen, mit oder ohne Entführung. Es lag allein am Verhalten der Witwe, wie appetitlich das Spiel gespielt werden würde.
Boris würde sich Zeit lassen, aber nicht zu viel Zeit. Er kannte die Mitte zwischen Hektik und Lahmarschigkeit.
Aus purer Langeweile war er zu dem Haus in der Walderseestraße gefahren. Die Mutter verschanzte sich mit dem Kind von morgens bis abends im Haus. Alle Rollläden waren heruntergezogen. Selbst im Garten waren sie nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich glaubten sie, sich in Sicherheit zu befinden. Sie irrten sich. Boris brauchte 30 Sekunden, um ein Haus zu betreten. Wenn ein Amateur es verrammelt hatte, brauchte er über eine Minute, aber nicht viel mehr. Sie waren nicht in Sicherheit, er konnte das Kind holen, wenn ihm danach war. Brenzlig werden konnte es nur, wenn die Mutter die Polizei eingeschaltet hatte. Dann würde sie von Spezialisten beschützt werden. Boris hatte Respekt vor Profis, selbst vor den Deutschen, selbst wenn Oleg sie allesamt für Weicheier hielt.
Erneut wählte er die Nummer, nichts. Oleg hatte angedeutet, dass die Entführung Mittwoch stattfinden sollte, falls bis dahin kein Geld geflossen war. Boris sollte das Geld in Empfang nehmen. Aber den Marschbefehl hatte er noch nicht erhalten und Boris war nicht der Typ, der auf eigene Faust handelte. Er war es nicht gewohnt, eigenständig Entscheidungen zu treffen, wollte das auch gar nicht. Sein Chef war wie ein Vater für ihn. Er dachte für Boris und Boris führte aus. Beide taten das, was sie am besten beherrschten. Boris starrte aus dem Fenster und wartete.
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Die Angestellte Andrea Sänger, langjährige Leiterin des Frauenhauses in Hannover, wird mit sofortiger Wirkung die Leitung der Projektgruppe „Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben“ in der Frauenabteilung übernehmen. Die Stelle ist mit der Gehaltsgruppe A 15 dotiert
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Mit der Einrichtung der neuen Projektgruppe, der außer Frau Sänger noch eine Sachbearbeiterin des mittleren Dienstes angehört, möchte die Landesregierung die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben voranbringen. Derzeit sind Frauen im mittleren und oberen Management sowohl in der Verwaltung als auch in der Wirtschaft weit unterdurchschnittlich vertreten. Nur knapp 5 Prozent der oberen Führungspositionen in Großunternehmen werden mit Frauen besetzt. In den meisten EU-Mitgliedstaaten sind die Zahlen deutlich höher. Darüber hinaus verdienen Frauen für vergleichbare Tätigkeiten 26 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Damit steht Deutschland fast am Ende des Länderrankings in der EU
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Das Ministerium erhofft sich durch die neue Projektgruppe wichtige Anstöße, um die Lage der Frauen im Erwerbsleben nachhaltig zu verbessern. Frau Sänger wird ihre neue Aufgabe am 1. Oktober aufnehmen
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Auszug aus der wöchentlichen Hausmitteilung
des Niedersächsischen Sozialministeriums
Ziffer 3 der Personalnachrichten
In Verena Hauser hatte der klügere, rationale Teil den Kürzeren gezogen. Zwei Tage lang hatte sie mit sich gekämpft, Jürgen abgeschrieben und dann doch wieder nach Entschuldigungen für sein Verhalten gesucht. Er konnte gar nicht anders, sagte sie sich, er war
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