Der Spitzenkandidat - Roman
gewöhnen.
„Mäßigen Sie sich“, sagte er. „Immerhin reden Sie von zwei gestandenen Persönlichkeiten. Rausch ist unser größter Kapitaleigner und Stein wird demnächst Ministerpräsident.“
„Und wenn Stein der Papst wäre.“
„Über diese Fragen befindet nun mal der Aufsichtsrat und nicht der Vorstand“, gab Hansen zu bedenken.
Hübner wusste das natürlich, sein Grimm stieg noch weiter.
„Das Früchtchen weiß genau, was es tut“, zürnte er. „Im Aufsichtsrat sitzen wir Arbeitnehmer am kürzeren Hebel. Da siegt immer das Kapital, ganz besonders, wenn sich verantwortungslose Gesellen wie Rausch und Stein zusammentun und sich gegen uns Arbeitnehmer verschwören.“
Hübner putzte schon wieder seine Brille. Der Mann war besessen von seiner Brille. Jeder in der Firma kannte diese Phasen. Wenn Hübner sich ärgerte, begann er zu putzen. Und er ärgerte sich oft, er war ein leidenschaftlicher Mann.
„Es ist so durchsichtig“, stöhnte er. „Dabei ist die Firma gut aufgestellt, macht Jahr für Jahr Gewinne. Die Aktionäre sacken Dividenden ein, von denen andere nur träumen. Es besteht kein Grund, das Unternehmen an die Deutsche Antriebstechnik zu verkaufen. An unseren Hauptkonkurrenten! Wie Klein Fritzchen sich den bösen Kapitalismus vorstellt! Jemand müsste Klein Fritzchen klarmachen, wie recht er hat. Ich habe kein Problem, das zu tun.“
Eine Drohung, trotzdem fasste Hansen sich in Geduld. Das nun Folgende war weder zu vermeiden noch auch nur abzukürzen. Der Betriebsratsvorsitzende durfte sich Luft verschaffen, wenn ihm danach war. Ein Teil seiner üppigen Bezüge verhalf Hansen dazu, das zu ertragen.
„Sie reißen sich unser Know-how unter den Nagel“, knurrte Hübner. „Wenn sie es haben, werden sie wichtige Bereiche von Hannover nach Ulm verlagern. Und unsere Leute gucken in die Röhre.“
„Lieber Herr Hübner, wir leben in einer globalisierten Wirtschaftswelt, ob uns das passt oder nicht. Sie und Ihre Leute halten den Lauf der Welt nicht auf. Die deutschen Unternehmen sind gut beraten, ihre Kräfte zu bündeln, will sagen zu fusionieren. Die Chinesen machen sich in der Antriebselektronik breit, bieten die gleichen Produkte wie wir zu wesentlich niedrigeren Preisen an. Noch hapert es bei denen im Service, aber auch da holen sie auf. Auch ohne Verkauf wird die Tawes AG über kurz oder lang in stürmische Fahrwasser kommen.“
„Sie sagen es: über kurz oder lang. Noch sind wir zweitgrößter Anbieter in Deutschland und Europa, noch fahren wir Gewinne ein. Gewinne, von denen das Land Niedersachsen profitiert, ganz zu schweigen von diesem Früchtchen namens Rausch.“
„Niemand ist vor feindlichen Übernahmen sicher, auch die Tawes AG nicht.“
„Ihnen passt es gut in den Kram. Mir raubt es den Schlaf. Außerdem: Wenn man gute Produkte anbietet, ist man sicher. Wenn Aufsichtsrat, Vorstand und Betriebsrat an einem Strang ziehen, ist man sicher. Unser jetziger Ministerpräsident ist den Arbeitnehmern niemals in den Rücken gefallen und würde es auch in Zukunft nicht tun.“
„Das bestreite ich gar nicht. Aber seine Tage sind gezählt. In vier Wochen wird Stein die Wahl gewonnen haben und als Ministerpräsident stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Tawes AG sein. 26 Prozent der Anteile hält das Land, und wenn Stein dem Verkauf zustimmt, können wir nichts dagegen tun. Wir wissen beide, dass Hannover für Stein nur eine Etappe ist. Den Mann zieht es nach Berlin. Der begnügt sich auf Dauer nicht mit der Provinz, der will in die erste Liga. Und aus bundespolitischer Perspektive sieht die Sache mit der Übernahme anders aus als aus niedersächsischer.“
Hübner unterbrach seinen Marsch, griff sich an die Brust.
Hansen rührte in der Tasse und fuhr fort. „Ihnen muss ich doch über die Wirtschaft in diesem Land nichts erzählen, Sie wissen, wie das hier läuft. Die Deutsche Antriebstechnik ist mit vielen west- und süddeutschen Konzernen über Aufsichtsratsmandate verbandelt. Das ist ein engmaschiges Netzwerk – früher nannte man das Geheimbund –, das bestimmt, wo es langgeht, noch jedenfalls. In einigen Jahren wird sich das ändern. Dann werden andere diktieren, die Chinesen und Inder zum Beispiel. Und nicht zu vergessen, die Russen. Sie kaufen sich klamm und heimlich in deutsche Unternehmen ein. Fest steht: Die Politik kann gegen die Großkonzerne nicht anstinken. Einer, der Kanzler werden will, schon gar nicht.“
„Ich habe auch ohne Studium gelernt, wer
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