Der Spitzenkandidat - Roman
regelmäßig. Mit jeder Begegnung verlor ihr eigener Mann an Reiz. Sie vermied Sex mit ihm, lebte nur noch für die Treffen, die meistens Mittwochnachmittag stattfanden. Manchmal zusätzlich am Freitag, immer in einem Landhotel in der Wedemark. Ihr Mann bemerkte nichts, weil er als Bauingenieur beruflich ausgelastet war. Die Tochter fühlte sich nicht vernachlässigt, weil es eine Schwiegermutter gab, die bereitwillig einsprang. Falls sie sich über ihre plötzlichen Überstunden wunderte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sonja stellte keine Ansprüche an Uwe, weil sie über jede Minute mit ihm glücklich war. Damals strahlte sie vor Lebensfreude. Blonde Haare, grüne Augen, schlanke Figur, alles war für Uwe da.
Ihre Gespräche drehten sich meist um Begebenheiten in seiner Partei oder in den Kanzleien. Hannover war ein Dorf, man tratschte gern und viel. Auch Stein tat das. Über seine Familie sprach er nie. Sonja wünschte sich klare Verhältnisse und war längst bereit, ihren Mann zu verlassen. Sie malte sich eine gemeinsame Zukunft mit Uwe aus, an seiner Seite würde sie eine gute Figur machen. Er hatte es verdient, eine vorzeigbare Partnerin präsentieren zu können. Mittlerweile wusste sie, wie Uwes Frau aussah, sie war heimlich zu seinem Haus gefahren und hatte gewartet, bis sie aufgetaucht war. Es beruhigte sie, dass sie ein unscheinbares Geschöpf erblickte, verhuscht, geduckt, ohne Ausstrahlung. So sah keine Konkurrentin aus.
Sie waren drei Monate zusammen, als er sie aufforderte, ihre Familie zu verlassen und sich in Hannover eine Wohnung zu nehmen. Beruf und Politik ließen ihm keine Zeit mehr für die zeitraubenden Fahrten in die Wedemark. Sonja zögerte, die Aussicht, ihre Tochter nicht mehr jeden Tag zu sehen, war unvorstellbar. Uwe spürte ihre Zweifel und setzte ihr die Pistole auf die Brust. „Entweder ich oder das Kind. Beides geht nicht. Außerdem werden wir eigene Kinder haben.“
Das war wie ein Eheversprechen. Sonja wog ab: eine Durchschnittsexistenz mit Egon gegen das permanente Fest an Uwes Seite. Längst war er zum Mittelpunkt ihres Lebens und ihrer Gedankenwelt geworden. Genau genommen lebte sie nur noch für die Treffen mit ihm. Er war ein so toller Mann, unglaublich sexy und selbstbewusst. Stets war er von einer Aura der Überlegenheit umgeben. Der Glanz, der von ihm ausging, strahlte auch auf ihr Leben aus. Nur manchmal in stillen Momenten, wenn er sich unbeobachtet glaubte, wirkte er tieftraurig. Dann liebte sie ihn umso mehr. Sie konnte gar nicht anders, als sich für Uwe zu entscheiden. Sie würde Anna ja nicht verlieren, ihr stand ein Besuchsrecht zu.
Durch Zufall erfuhr sie von einer kleinen möblierten Wohnung in der Langensalzastraße in der Nähe des Maschsees, für die ein Nachmieter gesucht wurde. Sie griff zu – es war ja nur für die Übergangszeit – und stellte Egon vor vollendete Tatsachen. Er war fassungslos, später wütend. Danach weinte er, bat und bettelte. Er wollte wissen, wer der andere war. Sie schwieg, weil Uwe es verlangt hatte. Dabei hätte sie gerne mit ihm angegeben. Egon wollte sich nicht in das Schicksal eines gehörnten Ehemannes fügen. Doch weder seine flehentlichen Bitten oder Appelle an ihre Vernunft noch seine Drohungen vermochten etwas auszurichten. Schließlich willigte er in die Trennung ein und behielt die Tochter. „Meine Mutter kümmert sich um sie, während ich arbeite. Du kannst sie alle zwei Wochen einen Tag sehen, mehr nicht.“
Uwe war zufrieden mit ihr. Das sei der erste Schritt, in Kürze werde er seine Familie verlassen. Bis dahin müsse sich Sonja gedulden. „Der Braunschweiger Parteitag hat Vorrang, ich möchte um die Nachfolge des Ministerpräsidenten kandidieren und dazu brauche ich auch die Delegierten aus dem katholischen Emsland. Einem frisch geschiedenen Mann würden sie sich versagen“, gab er als Begründung an.
Sonja zeigte Verständnis. Auch in der Folgezeit, als seine Besuche seltener wurden. Sie redeten auch nicht mehr so viel miteinander und selten über Vertrautes. Als er sich 14 Tage hintereinander nicht sehen ließ, verlangte sie eine Erklärung.
„Verdammt noch mal, Sonja, ich will Karriere in der Partei machen. Das kostet nun mal Zeit und Mühe. Es gibt 40 Kreisverbände und zig parteiinterne Organisationen. Ich muss mich um alle kümmern und sie auf meine Seite ziehen, wenn ich Bitter ausbooten will. Ich kann dich nicht ständig besuchen. Wenn du mich liebst, hast du Verständnis dafür.“
Sie liebte
Weitere Kostenlose Bücher