Der Spitzenkandidat - Roman
seufzte und zündete sich noch eine Zigarette an.
„Was soll’s, ich will nicht klagen, ich kenne den Stall in- und auswendig. Ich dachte, mich kann nichts mehr umhauen. Es war nicht leicht für mich, aber ich habe mich damit abgefunden, dass Stein der nächste Ministerpräsident wird. Ich fiel ja nicht ins Bodenlose, mir blieb ja der Parteivorsitz.“
„Das ist der Deal gewesen, nicht wahr? Stein wird Ministerpräsident, Sie bleiben Parteivorsitzender.“
„So sieht es aus.“
„Was macht Sie sicher, dass Stein den Deal eingehalten hätte?“
Das Schweigen war unangenehm, die nächste Zigarette musste daran glauben.
„Sie lieben das offene Wort, Frau Hauser. Dann will ich mich nicht dümmer stellen als ich bin. Natürlich habe ich mich mit der Möglichkeit befasst, dass Stein nach der Wahl zum Rundumschlag ausholt. Er wäre nicht der erste Politiker gewesen, der die gesamte Macht in seiner Person vereinigt. Vielleicht hätte er auch einige Monate gewartet und erst dann Ansprüche angemeldet.“
„Wie hätte die Partei reagiert? Wie hätten Sie reagiert?“
„Eine Partei ist nicht so klug wie die einzelnen Parteimitglieder glauben. Man kann sie mitreißen und bescheißen. Ich habe alles erlebt, was an Manipulation und Lenkung möglich ist. Ich könnte ein Lehrbuch schreiben. Wer weiß, vielleicht werde ich das eines Tages sogar tun. Wie ich reagiert hätte? Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Und das Kämpfen habe ich auch nach 30 Jahren Parteiarbeit nicht verlernt.“
„War das schon die Antwort?“
„Das wundert Sie, was? Ist aber so: Ich beschäftige mich mit der Frage, wenn sie sich stellt. Wenn Uwe Stein größenwahnsinnig geworden wäre, hätte ich in die Partei hineingehorcht. In alle Gliederungen, bis hinunter zum kleinsten Ortsverein. Ich hätte abgewogen, wie die Chancen stehen, um den Krieg zu gewinnen. Hätte ich mich gut gefühlt und ich meine jetzt: gesundheitlich, dann wäre ich in den Ring gestiegen. Wissen Sie, nicht jedem ist es gegeben, mit einem Umtrunk und einer Urkunde in den Ruhestand verabschiedet zu werden. Ich kenne die Partei besser als Stein, genau genommen bin ich das Herz der Partei, kenne jeden einzelnen Kreisvorsitzenden, die Ehefrauen und Kinder auch, die meisten jedenfalls. Ich habe geholfen, wenn es um Studienplätze oder Ausbildungsbetriebe ging. Ich habe die Partei immer als meine Familie betrachtet, mich für die Leute verantwortlich gefühlt. Vielleicht bin ich der Letzte dieser Art. Vielleicht ist Uwe Stein der Erste der neuen Art. Der Geschniegelten und Gestriegelten. Der effizienten Manager der Macht, die heute eine Partei leiten und morgen in ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie wechseln und überall funktionieren sie.“
„Klingt, als würden Sie von Robotern reden.“
„Tatsächlich? Gut, dann bin ich verstanden worden.“
„Sie hätten also den Kampf aufgenommen?“
„Bis zum letzten Mann.“ Er deutete an, dass er über Rückhalt in den Gremien verfügte. Er hatte auch einiges getan, um sich abzusichern: „Mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Senioren hatte ich erst vor wenigen Tagen ein vertrauliches Gespräch. Tobias Wächter und ich waren uns einig, dass Stein für den Parteivorsitz nicht infrage komme. Noch nicht. Er war zu wenig in der Partei verwurzelt und hatte sich bisher auch nicht darum bemüht, Stallgeruch anzunehmen. Bevor der Mann Parteifreunde zum Bier einlud, checkte er insgeheim Nutzen und Risiko ab. Wobei es ohnehin bei Weinschorle blieb, bestenfalls. Meistens war es Mineralwasser. Mit Wasser halte ich doch keine Partei zusammen. Stein fehlte es an Herz und Seele.“
Dann sprach er über die Wünsche von Parteimitgliedern. Es gab die große Gruppe der Passiven, die wurden nur benötigt, um Mehrheiten zu organisieren. Die wollten aber auch gepflegt werden, mit regelmäßigen Besuchen zum Beispiel und Gesprächen in vertraulichen Runden. „Gespräche in einer Kneipe in Ostfriesland bei Mineralwasser erwecken kein Vertrauen, das kannst du vergessen. Daneben gibt es die Gruppe der Ehrgeizigen, der Mandatsträger. Die jubeln demjenigen zu, der Siege zu organisieren versteht und die Zahl der Mandate erhöht. Stein war für sie Garant für mehr Einfluss und vor allem Mandate. Die trinken auch Wasser, wenn es sein muss. Bei denen geht es um Kohle.“
Verena stellte die leer getrunkene Tasse beiseite. Ihr gefiel die offene Art des Parteivorsitzenden.
„Ein Landtagsabgeordneter verdient genauso viel wie
Weitere Kostenlose Bücher