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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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geflickt wird und ob hundert Flüchtlinge auf den Ort verteilt werden. Die Leute erwarten das einfach. Nirgendwo ist man so schnell eingeschnappt wie in der Provinz. Müdigkeit zu zeigen, ist verboten. Immer präsent sein, immer lächeln und immer vergnügt wirken. Und vor allem: Namen merken, immer wieder Namen merken. Wenn du schwach mit Namen bist, wirst du in der Politik nichts. Ich schlafe zwischen zwei Terminen, mein Fahrer weckt mich rechtzeitig, damit ich noch in die Akten schauen kann, die mir mein Büro jeden Tag vorbereitet. Wahlkampf ist eine logistische Herausforderung. Natürlich macht er auch Spaß, du tust dir das nicht an, wenn es nur Quälerei wäre. Um es kurz zu machen: Vorgestern bin ich selbst nach Celle gefahren.“
    „Ihre Frau kann bestätigen, dass Sie gegen zehn nach Hause gekommen sind?“
    Bitter zögerte. Er wollte etwas sagen, was wohl nicht besonders freundlich ausgefallen wäre. Sein Gesichtsausdruck imitierte das Gewitter, das sich über Hannover partout nicht entladen wollte.
    Dann sagte er: „Meine Frau? Klar, die kann das bestätigen. Ohne Frau kein Alibi, klare Sache. Meine Sekretärin gibt Ihnen die Telefonnummer.“
    Er bat dann um Unterbrechung des Gespräches, weil er im Funkhaus des Fernsehen Niedersachsen für ein Interview vorgesehen war. Eine letzte Zigarette, letzte Plaudereien über die Parteiendemokratie in Deutschland. Verena sah erst jetzt, dass seine Finger gelblich waren. Ein Gelb, das sie spontan mit dem Raucher in Verbindung brachte.
    Bitter empfahl Marion Klaßen und Bernd Wagner als weitere Gesprächspartner. Mit ihnen hatte Stein – wenn schon keinen privaten – so doch einen engen beruflichen Kontakt über einen längeren Zeitraum gehabt. Verena lauerte darauf, ob er sich zu einer vielsagenden Äußerung über Steins Kontakte zu Frau Klaßen hergeben würde. Aber da kam nichts. So ließ sie ihre Visitenkarte zurück und bat um Rückruf selbst bei kleinsten Ideen oder Erinnerungen, alles könnte wichtig sein. Verena Hauser ließ einen nachdenklichen Parteivorsitzenden zurück. Der zündete sich eine weitere Zigarette an und hatte es plötzlich nicht mehr eilig.
    „Verbinden Sie mich mit meiner Frau“, rief er ins Vorzimmer. „Und danach mit dem Innenminister!“

23
    Verena trat ins Freie und es begann zu regnen. Sie rettete sich nicht unters Vordach, sondern hob ihr Gesicht dem Regen entgegen. Sanft, warm und weich fielen die Tropfen. Ein klassischer Landregen, Erquickung für Körper und Seele. Nicht nur Verena genoss den Wetterumschwung. Überall auf dem Parkplatz sah sie lachende Menschen. Ein Mann hielt die Arme ausgebreitet, zwei Frauen jagten sich juchzend. Verkehrte Welt, schöne Welt. Wenige Wochen noch, dann würden dieselben Menschen den vielen Herbstregen verdammen, sich nach wärmender Sonne sehnen. So war das, wenn man in der norddeutschen Tiefebene lebte.
    Das Institut für Rechtsmedizin war auf dem Gelände der Medizinischen Hochschule untergebracht. Verena Hauser rannte ins Gebäude, der Regen machte ernst, er prasselte auf die Autos, der Boden dampfte. Das Foyer erreichte sie mit so viel Schwung, dass sie beinahe auf den glitschigen Steinen ausrutschte. Im Institut roch es traditionell nach Desinfektionsmitteln. Verena konnte sich mit dem Geruch nicht anfreunden, er erzeugte jedes Mal ein leichtes Gefühl von Übelkeit.
    Professor Zorn erwartete sie schon. Er war besser gelaunt als am Vortag, seine Gesichtsmuskeln näherten sich einem Lächeln an.
    „Ich habe eine Überraschung für Sie, Frau Hauser. Um den exakten Todeszeitpunkt zu bestimmen, habe ich eine Analyse des Mageninhaltes durchgeführt. Raten Sie, was ich gefunden habe!“
    Sie spielte das alberne Spiel mit, um den Tyrannen bei Laune zu halten. Es freute den Professor, dass sie daneben lag.
    „Biozide habe ich gefunden, was sagen Sie nun? Um ganz sicherzugehen, habe ich die Marshsche Probe durchgeführt. Sie hat das Ergebnis bestätigt.“
    „Sie haben Arsen in Steins Magen gefunden? Das ist in der Tat … Reste von Medikamenten können es nicht sein?“
    „Nicht in dieser Menge. In Steins Magen befanden sich fast 20 Milligramm, sie wurden ihm nach meiner Einschätzung in den letzten acht bis zehn Tagen zugeführt. 50 bis 60 Milligramm sind tödlich. Hätte Stein weiter diese Rationen bekommen, wäre er in zwei bis drei Wochen gestorben. Natürlich nicht so spektakulär, Versagen der Nieren oder ein Herz-Kreislauf-Zusammenbruch. Das ist weniger dramatisch, aber tot ist

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