Der Spitzenkandidat - Roman
Partei zu einer Krisensitzung einberufen habe. Noch ist offen, ob die Partei am Wahltermin in knapp vier Wochen festhalten will. Dazu mehr in den Abendnachrichten
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Im Studio begrüßen wir jetzt den Leiter des Institutes für Kriminalforschung, Herrn Professor Schulte. Professor Schulte machte kürzlich mit einer bundesweit beachteten Studie über jugendliche Gewalttäter von sich reden, in der nachgewiesen wurde, dass Jugendliche muslimischen Glaubens bei Gewalttaten überdurchschnittlich vertreten sind. Er fordert mehr Anstrengungen bei der Integration insbesondere dieser Zuwanderergruppen
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Redaktion:
Guten Tag, Herr Professor Schulte. Was sagen Sie zu der Vermutung, dass jugendliche Gewalttäter für den Mord an Uwe Stein verantwortlich sind?
Schulte:
In meiner Studie habe ich nachgewiesen, dass sich Jugendgewalt fast ausschließlich gegen Gleichaltrige oder Jüngere richtet. Meist gegen Schwächere. Häufig treten die Täter in Gruppen auf und ihre Gewalt richtet sich gegen einzelne Jugendliche, die keiner Gruppe angehören. Oftmals handelt es sich um deutsche Jugendliche, vor allem in Situationen, in denen Letztere in der Minderheit sind. Körperliche Gewalt gegen Erwachsene ist hingegen die Ausnahme.
Redaktion:
Könnte eine solche Ausnahme hier nicht vorliegen?
Schulte:
Das ist unwahrscheinlich. Es gibt in Hannover zwar einige Stadtbezirke, in denen es gewaltbereite Jugendbanden gibt. Der Ortsteil Kleefeld, in dem die Leiche gefunden wurde, gehört allerdings nicht dazu. Die in Hannover auffällig gewordenen Straftäter unter den Jugendlichen haben Gewalt gegen Erwachsene nur eingesetzt, wenn sie sich provoziert fühlten. Davon können wir im vorliegenden Fall kaum ausgehen. Auch finden Gewalttaten von Jugendlichen meist dort statt, wo sie sich schwerpunktmäßig aufhalten. In und vor Diskotheken, in U-Bahnstationen, auf Bahnhöfen und belebten Plätzen, wo sich Jugendliche treffen. Mir ist kein einziger Fall von Jugendgewalt dieser Brutalität bekannt, der in einem Stadtwald nach Anbruch der Dunkelheit stattgefunden hätte.
Redaktion:
Sie gehen also nicht davon aus, dass der Mord von jungen Gewalttätern verübt wurde?
Schulte:
Nein, das tue ich nicht. Auch wegen der Tatwaffe nicht. Gewaltbereite Jugendliche pflegen nicht Golf zu spielen.
Redaktion:
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Schulte. Wir machen weiter mit der neuesten Single von Silbermond.
Marion Klaßen schaltete das Radio aus. Bitter und die Parteiführung würden sich über das Interview schwarz ärgern. Gewaltbereite Jugendliche waren ihre Wunschtäter, Professor Schulte hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, er würde unter der neuen Regierung keinen leichten Stand haben.
Marion hatte den Vormittag in ihrer Wohnung verbracht, hatte alle Termine für heute und morgen abgesagt. Sie wollte allein sein, um nachzudenken. Die Lücke, die Uwe hinterließ, tat weh. Er war nicht ihr Lebensgefährte gewesen, nicht ihr Liebhaber, nicht einmal ein enger Freund. Und doch empfand sie Leere und Mutlosigkeit. Die Vorstellung, dass es ihn nicht mehr gab, war deprimierend. Wie sollte es ohne ihn weitergehen: in der Partei, in der Landespolitik und in ihrem Leben? Eine Frage, die sie sich immer wieder stellte und auf die sie keine Antwort fand.
Sie hatte von Anfang an nicht geglaubt, dass er von jungen Schlägern getötet worden war. Je länger sie darüber nachdachte, umso stärker wurde die Überzeugung, dass der Mord keine Zufallstat war. Jemand hatte Uwe in eine Falle gelockt und die Tat geplant.
Jetzt fragte sie sich, was diese merkwürdigen Anrufe zu bedeuten hatten, bei denen Uwe so weit zur Seite ging, bis niemand etwas mitbekommen konnte. Seine Hektik, wenn diese Anrufe kamen. Einmal hatte er eine Vase umgeworfen, weil er es so eilig hatte, sich von der Gruppe zu entfernen. Und alarmierender noch: sein Blick, den er manchmal aufgesetzt hatte, wenn er sich unbeobachtet fühlte. So unglaublich traurig und verloren. Beängstigend.
Und dabei kannte sein Weg nur eine Richtung: nach oben. Mit knapp vierzig Jahren war das Amt des Regierungschefs in Niedersachsen zum Greifen nahe, er hatte eine intakte Familie, eine entzückende Tochter. Er hatte keinen Grund zur Traurigkeit gehabt. Oder doch?
An Uwe hatte es Seiten gegeben, die sie nicht kannte. Sie hatte diese Anzeichen ignoriert, denn sie passten nicht in das Bild des forschen Politikers auf der Siegerstraße. Des erfolgreichen Mentors, in dessen Windschatten sie sich
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