Der Spitzenkandidat - Roman
sterben.
„Lassen Sie meine Mutter liegen. Wenn sie partout nicht will, soll sie auch nicht aufstehen.“
Ein Zischen in der Leitung signalisierte, dass Schwester Hildegard nicht einverstanden war. Verena kündigte an, am Wochenende vorbeizukommen.
Erst jetzt bemerkte Verena den Kaktus auf ihrem Schreibtisch. Alles an ihm war klein, sogar die Stacheln. Eine einsame rosa Blüte ließ schon die Ohren hängen. Auf einen Stachel gespießt, der Zettel mit Stollmanns handschriftlichem Glückwunsch. Er war auch schon origineller gewesen.
Auch Inga hatte ein Geschenk hinterlassen, Neuhaus Pralinen. Sie vertilgte drei davon als Ersatz für das ausgefallene Mittagessen. Und zwei weitere als Ersatz für den ausgefallenen Nachtisch.
Ali Hamad, der Fahrer, rief an. Herr Bitter habe ihn gebeten zu bestätigen, dass er seinen Chef um Punkt sieben vor dem Schweizerhof abgesetzt habe und danach weggeschickt worden sei. Mit wem sein Chef sich getroffen habe, könne er leider nicht sagen. Das wusste Verena längst, sie bedankte sich trotzdem und suchte den Rapport über die Vernehmung des Restaurantchefs heraus. Der Beamte wies ausdrücklich darauf hin, wie hilfsbereit und kommunikativ der Mann gewesen sei. Der Tisch sei telefonisch von einer Mitarbeiterin der Deutschen Antriebstechnik reserviert worden. Stein und der zweite Mann seien gleichzeitig eingetroffen. Den Politiker hatte der Restaurantleiter sofort erkannt, den anderen Herrn nicht. Die Herren hätten das Menü des Tages bestellt: Kürbiskernsuppe mit Kresse, als Hauptgang Kalbsgeschnetzeltes mit Gemüse und als Dessert ein Ananas-Sorbet. Dazu hätten sie eine Flasche Chardonnay getrunken, von dem aber mehr als die Hälfte stehen gelassen worden sei. Sie seien bis kurz vor zehn geblieben und hätten sich die ganze Zeit angeregt unterhalten. Streit sei nicht entbrannt.
Der Beamte, der den Bericht verfasst hatte, hatte inzwischen mit dem Büro des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Antriebstechnik in Ulm telefoniert. Von dort hatte man ihm mitgeteilt, dass sich Herr Dr. Wolff, Vorsitzender des Vorstandes, seit zwei Tagen in China aufhalte. Er besuche in der Provinz Anhui eine Niederlassung seines Unternehmens und werde übermorgen zurück erwartet. Die Chefsekretärin bestätigte, dass ihr Chef gelegentlich mit Uwe Stein telefoniert habe, zum Zeitpunkt des Verbrechens könne er aber nicht in Hannover gewesen sein.
Der hartnäckige Beamte war schließlich im Vorzimmer des Aufsichtsratsvorsitzenden gelandet. Dr. Jahn hatte sich am Tatabend tatsächlich in Hannover aufgehalten. Die Sekretärin persönlich hatte bestätigt, den Tisch für zwei Personen reserviert zu haben. Ja, ihr Chef habe sich mit Uwe Stein treffen wollen, nicht zum ersten Mal übrigens. Sie habe Dr. Jahn vorgeschlagen, sich bei der Polizei zu melden, aber der habe davon nichts wissen wollen. Und Eigenmächtigkeiten schätze der Aufsichtsratsvorsitzende nicht. Mit Dr. Jahn selbst hatte der Beamte nicht sprechen können, der käme nur noch zweimal pro Woche in die Firma. Bevor die Sekretärin die private Nummer herausrückte, musste der Fahnder energisch werden. Jahns Haushälterin, bedeutend gesprächiger, hatte erklärt, dass der Herr Doktor auf dem Golfplatz sei und nicht vor 20 Uhr zurück sein werde. Seine Handynummer verriet sie nicht, der Doktor würde auf dem Golfplatz sein Handy ohnehin ausschalten, weil er seinen Sport sehr ernst nähme.
Von Stollmann – außer dem Glückwunsch – nichts Schriftliches, dafür ein ausführlicher Bericht aus der IuK. Alle Telefonnummern, die Stein im letzten Jahr angewählt hatte, waren penibel aufgelistet. Eine Nummer sprang sofort ins Auge: Sonja Schreiber. Stein hatte sie mehrmals in der Woche angerufen, vor fünf Monaten war der Kontakt abgebrochen.
Verena bat ihre Assistentin, die Schreiber ausfindig zu machen. Es dauerte nur Minuten. Sonja Schreiber wohnte nur einen Kilometer von ihrer Dienststelle entfernt.
Frau Schramm, heute ganz in Gelb, schlug vor, den Geburtstagskuchen anzuschneiden, keiner im Dezernat habe Zeit fürs Mittagessen gefunden. Eine Besprechnung mit Kaffee und Kuchen würde die Lebensgeister wecken. Verena hatte ihr Quantum an Süßigkeiten für diesen Tag intus und redete sich mit dem Besuch bei Frau Schreiber heraus.
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Eine schmale Stichstraße, zugeparkt bis zum Anschlag. Stollmann hätte eine Lösung gefunden, er verfügte über eine reichhaltige Mischung aus Parkkarten: Kripo, LKA, Notarzt im Einsatz. Verena stellte ihren Wagen
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