Der Spitzenkandidat - Roman
doch nicht so ein mieser Hund gewesen, wie die hasserfüllten Frauen und Männer der Polizei weismachen wollten. Die Abgeordnete habe anders über ihn gesprochen – ohne mit ihm eine Beziehung gehabt zu haben. Ihre Beziehung zu dem Politiker sei rein platonisch gewesen, bei vielen politischen Themen sei man dicht beieinander gewesen.
„Das hat Bitter auch angedeutet“, erinnerte sich Verena.
Marion Klaßen hat Uwe Stein gelobt, seine Visionen, seine Power und seinen Mut, auch unangenehme Themen anzusprechen. „Uwe Stein war keiner dieser Beschwichtigungsapostel, die alles schönreden und lieber die Karre an die Wand fahren, als die Probleme beim Namen zu nennen. Das hat ihn von den meisten anderen Politikern unterschieden“, hat sie gesagt. Er sei ein Segen für die festgefahrene Landespolitik gewesen. Dass er sich damit Feinde machte, hat sie nicht bestritten, aber für einen Mord habe das ganz bestimmt nicht ausgereicht. Der Landesvorsitzende sei für sie kein schlechter Kerl, aber eben nur Durchschnitt und hoffnungslos altmodisch. Niemand, der die Leute vom Hocker reißt. Aber um die Wahl zu gewinnen, dafür wird es reichen. Dank des großen Vorsprunges, den Stein für die Partei errungen habe. Sie hat sich über den Vorwurf, Stein sei machthungrig gewesen, erzürnt. „Jeder Politiker ist machthungrig, man geht in die Politik, um Macht zu gewinnen. Nur mit Macht kann man etwas bewegen. Wer keine Macht will, ist in der Politik fehl am Platz. Das ist so, als würdest du einem Fußballer vorwerfen, dass er gerne gegen Tore schießt“, hat sie gesagt.
„Sie hat dich ja mächtig beeindruckt.“
„Ich fand sie tough, übrigens auch sehr ansehnlich, und sie ist die erste Person, die über Steins Tod traurig ist.“
„Was alles nichts daran ändert, dass Stein eine gespaltene Persönlichkeit war. Es wird Zeit, dass ich endlich mit seiner Mutter rede.“
„Falls sie mit dir redet. Stichwort: Emsländerin. Die Emsländer können manchmal verdammt stur und spröde sein. Ich kannte da mal eine Kollegin aus Lingen, also …“
„Verschon mich mit deinen Frauengeschichten, darauf habe ich jetzt keinen Bock“, fiel Verena ihm ins Wort.
Stollmann hätte Verena gerne nach Papenburg begleitet, aber sie hatte eine andere Aufgabe für ihn. 600 Hinweise waren aus der Bevölkerung eingegangen, Stollmann sollte die von den Beamten des mittleren Dienstes vorgenommenen Auswertungen überprüfen und die Spreu vom Weizen trennen.
Er stöhnte auf. „Das ist Strafarbeit. Wir wissen doch, wie sowas läuft. Die meisten Hinweise gehören in die Kloschüssel. Spinnereien, Wichtigtuereien, Nonsens.“
Sie gab ihm recht, aber die Chance auf einen guten Hinweis war größer als null – wenn auch nicht viel größer. Und Nachlässigkeiten konnten sie sich nicht leisten.
Nach längerem Zögern sprach die Kriminalrätin ihren Kollegen auf die, wie sie es nannte, „Geheimhaltungsnummer“ an.
„Ist doch klar, was damit bezweckt wird. Die Partei hat Muffensausen, dass die dunklen Seiten ihres Spitzenkandidaten öffentlich werden. Fremdgehen ist ja noch akzeptiert. Aber wer jahrelang seine Frau verdrischt, hat keine Schonung verdient.“
Er hielt Bitter für den Drahtzieher der Verdunklungsaktion.
„Mir ist egal, von wem das ausgeht“, knurrte Verena. „Es deckt sich einfach nicht mit den Vorschriften.“
Stollmann lachte. „Verena, sei nicht naiv! Das ist das 21. Jahrhundert. Das ist Politik! Wen jucken denn die Vorschriften, solange es keinen Kläger gibt! Denk an den Fall Uwe Barschel. Es gab damals viele Indizien, die auf einen Mord hindeuteten. Der ermittelnde Staatsanwalt hat kürzlich in einem Interview erklärt, dass ‚starke politische Kräfte eine Aufklärung verhindert haben‘. Und, gab es einen Aufschrei in der Bevölkerung? Nein, gab es nicht. Die Menschen scheinen es inzwischen als selbstverständlich anzunehmen, dass Regierungen Straftaten vertuschen, wenn es ihnen in den Kram passt. Damals ging es um Mord, in diesem Fall geht es um einen versuchten Giftmord, der zudem aus Notwehr erfolgte. Du weißt, dass ich kein Blatt vor den Mund nehme, aber lebensmüde bin ich auch nicht. Warum bei den Oberen anecken, wenn es doch kein Schwein in diesem Land interessiert? Und was dir blüht, wenn du dich zu weit aus dem Fenster lehnst, ist klar: Strafversetzung in die Walachei. Niedersachsen hat viele Regionen, die sich als Straflager eignen, vor allem im Winter und der dauert hierzulande von Oktober bis April.
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